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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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brachte ihr dreimal täglich etwas zu essen. Martha hatte nicht um diese Dienste gebeten, war aber sehr dankbar dafür. Wenn sie gänzlich sich selbst überlassen blieb, verstrickte sie sich in unendlichen Fragen, schlief zu viel und starrte gedankenverloren in den Korb. Die Kleine war erst eine Woche alt und konnte schon ihren Blick erwidern.
    »Einen Spaziergang ?«, wiederholte Martha. »Es ist Dezember, und wir sind in den Bergen.«
    »Wir können im Resort ein wenig herumgehen.«
    »Ich würde lieber im Zimmer bleiben.«
    »Wir nehmen das Baby mit. Sie müssen Ihren Kreislaufein bisschen in Schwung bringen.« Graciela zeigte auf den Kinderwagen, der neben ihr im Flur stand.
    Marthas Freude darüber, dass jemand für sie sorgte, erblühte noch mehr. Sie zog eines der beiden Kleider an und frisierte ihr Haar. Dann legte sie die Kleine in den Kinderwagen.
    »Dieses Resort ist ein Labyrinth«, erklärte Graciela, als sie Marthas Zimmer verließen. Im Flur lag ein abgetretener Teppichläufer, und rissige Tapeten bedeckten die Wände. »Das Ganze hier war kurz vor dem Einsturz, als wir es gekauft haben.« Sie lachte. »Das ist es noch.«
    Graciela schob den Kinderwagen. Martha hatte das Gefühl, ein Leben lang nicht aus dem Zimmer gekommen zu sein, und allein der schäbige Gang war für sie ein wundervoller Ort.
    »Dort hinten ist die Lobby, durch die sind Sie neulich hereingekommen. Der Kamin ist das Älteste im ganzen Resort. Wir überlegen, ob wir anbieten sollen, an den Freitagabenden dort Marshmallows zu rösten. Das ist eine von Henrys Ideen, mit denen er Gäste für unser Hotel begeistern will.« Graciela schob sich die üppigen Haare hinter die Ohren. »Dort ist der Speisebereich, den Henry noch streichen muss. Und wir werden auch ein Spielzimmer haben. Henry hat jede Menge Pläne, wie wir das Resort zu einem Anziehungspunkt machen können.«
    Sie bogen in den nächsten Korridor ein. Dies alles waren einzelne Gebäude, die irgendwann durch Gänge verbunden worden waren.
    Graciela wedelte mit der Hand. »Da draußen ist ein wunderschöner See. Seinetwegen haben wir uns für dieses Haus entschieden.« Mit gedämpfter Stimme fuhr sie fort: »Ich muss zugeben, dass wir monatelang gestritten haben, als Henry mit der Idee herausrückte, unser Leben in Brooklyn aufzugeben. Er versprach mir, einen Ortzu finden, an dem die Kinder frei herumtoben können und genügend Platz ist, dass ich meine Töpferscheibe aufstellen und unser Sohn Alfonzo mit dem Schlagzeug üben kann, ohne irgendwelche Nachbarn zu stören. Dann schauten wir uns dieses Hotel an.« Sie lachte leise, als sie an ihren ersten Besuch dachte, und erzählte vergnügter weiter: »Und als wir hier herumliefen, sah er sofort die vielen Möglichkeiten, die sich uns boten, mich konnte er aber erst überzeugen, als er mir den See zeigte.«
    Martha sah Graciela mit überraschter Bewunderung an. Diese Ehe war nicht die verschworene, nüchterne Gemeinschaft, die Martha mit Earl erlebt hatte. Graciela und Henry waren grundverschieden und nicht immer einer Meinung, dennoch halfen sie sich gegenseitig weiter, bis sie dieselben Träume hatten.
    Sie bogen in einen Flur ein, in dem die Farbe von den Wänden abblätterte, und während Graciela über die Unmengen an Arbeit sprach, die noch vor ihnen lag und davon, dass sie schlichtweg darauf vertraute, dass sie es schaffen würden, überlegte Martha, was sie antworten sollte, wenn Graciela sie nach der Dauer ihres Aufenthalts fragte. Sie war schon eine Woche hier, und das war länger, als es ihre Lüge rechtfertigte. Wie viele Tage konnten sie und das Baby noch bleiben?
    Als sie zum Zimmer 119 zurückkehrten, sagte Graciela: »Zur Küche geht es da entlang. Sie können sich Ihre eigenen Mahlzeiten zubereiten, falls Sie wollen, aber wir würden uns sehr freuen, wenn Sie sich zu uns gesellen. Und du auch«, sagte sie zu dem Baby im Kinderwagen.
    Martha steckte den Schlüssel ins Schloss. »Sie und Henry sind sehr umsichtig und aufmerksam.«
    »Es ist schön, helfen zu können«, sagte Graciela. »Aber eine Frage habe ich doch.« Martha umklammerte die Türklinke fester.
    Graciela holte einen Brief aus ihrer Rocktasche. Martha kannte die Handschrift auf dem Kuvert, konnte sie jedoch nicht einordnen. O nein , dachte sie, obwohl ihr die Schule unmöglich auf die Spur gekommen sein konnte.
    Graciela sagte: »Eine Ihrer früheren Schülerinnen hat uns geschrieben.«
    Richtig. Das hatte Martha ganz vergessen. Sie war derart

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