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Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Die Geschichte eines schoenen Mädchens

Titel: Die Geschichte eines schoenen Mädchens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Simon
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aber Homan hatte sie schon gesehen.
    Inzwischen hatte er Übung darin, Tramper schon von Weitem zu entdecken. In den letzten Monaten mit Sam hatten sie oft jemanden mitgenommen – dann saß noch eine dritte Person im Van, während die Polizei nur nach einem weißen Jungen und einem Schwarzen Ausschau hielt. Eine dritte Person hieß auch, dass Homan Hilfe hatte, wenn er Sam aus dem Auto oder über eine Treppe manövrieren musste, die zu hoch für die transportable Rampe war, die sie im Van hatten. Und sie hatten noch jemanden, der ihnen Gesellschaft leistete. Doch auch wenn sie nur zu zweit waren, hatte Homan eine Menge Spaß mit Sam. So viel Spaß, dass Homan jetzt, da sie in das wolkenlose Land der roten Felsen kamen, dachte: Sam würde selbst eine Brieftaube von der Aufgabe, den Nachhauseweg finden zu müssen, ablenken.
    Diese Tramper waren allerdings anders als alle, die sie bisher aufgelesen hatten. Zum einen waren sie zu zweit – zwei Mädchen. Aber sie versprachen genauso viel Vergnügen wie der langhaarige Junge, der sie eingeladen hatte, im Haus seiner Familie zu übernachten, der Grauhaarige, der ihnen Bohnen von einem Gemüsehändler amStraßenrand mitgebracht hatte, oder alle anderen Typen aller Hautfarben und jeden Alters, die sie zu allen möglichen Wundern begleitet hatten: zu der Wüste mit dem weißen Sand, den in die Felsen gehauenen Häusern, dem gewaltigen roten Canyon. Welches Abenteuer erlebten sie wohl mit diesen beiden Mädchen?
    Homan bremste ab, und die Mädchen packten ihre Rucksäcke und rannten zu dem Van. Sie waren viel jünger als er und ein wenig älter als Sam. Die große Blonde trug ein blaues Top und einen violetten Rock, die kleine Dunkelhaarige sah aus wie ein Cowgirl mit roter Weste über einer weißen Bluse und Jeans.
    Wie alle waren auch sie überrascht, als sie die Seitentür öffneten. Neben dem Fahrersitz befanden sich nur Schienen, die Sams Rollstuhl an Ort und Stelle hielten. Im hinteren Teil des Wagens gab es keine Sitze, nur einen festmontierten Liegestuhl, eine Schaumgummimatte auf dem Boden, die transportable Rampe und ihre Klamotten. Homan beugte sich zur Seite und kurbelte Sams Fenster herunter. Er wusste nicht, was Sam zu den Mädchen sagte, konnte es sich aber vorstellen. Willkommen, Ladys. Mein Name ist Sam, und dies ist mein Freund. Er ist taubstumm, und ich weiß nicht, wie er heißt. Bei uns ist alles ein bisschen anders. Der Liegestuhl ist dazu da, dass ich nicht zu lange in diesem Ding hier sitzen muss, aber ihr könnt es euch darin bequem machen, denn ich spiele gern den Kopiloten. Oder ihr setzt euch auf meine Schlafmatte. Richtet euch einfach ein und sagt uns, wohin ihr unterwegs seid. Wir haben kein festes Ziel und bringen euch, wohin ihr wollt.
    Homan beobachtete über Sams Schulter die belustigt aufblitzenden Augen der Mädchen. Sam hatte immer diese Wirkung auf das weibliche Geschlecht. Er war charmant, witzig und hatte mit seinem schwarzen Haar, dem wissenden Lächeln und den fröhlichen blauen Augen dasgewisse Etwas, dem Mädchen nicht widerstehen konnten. Es war kein Wunder, dass die Blonde kicherte, als sie ihren Rucksack in den Van warf und den Duft nach Erdbeeren mit sich brachte. Ihre Freundin stieg nach ihr ein. Sie hatte den Riemen des Rucksacks über der Schulter und Perlenarmbänder an einem Handgelenk. Erdbeere ließ sich auf den Liegestuhl fallen. Perlenarmband setzte sich auf die Matte.
    Homan wartete, während sie redeten. Zweifellos hatte Sam sie gefragt, wohin sie fahren wollten. Erdbeere kramte einen Stift aus der Tasche und zeichnete etwas auf ihren Arm – vielleicht eine Straßenkarte –, dann beugte sie sich vor und legte den Arm auf Sams Schenkel. Er fuhr mit dem Daumen die Linien auf ihrer Haut nach, und als sie sich wieder zurücklehnte, vollzog er eine Geste, die Homan und er schon ganz am Anfang ersonnen hatten. Dies war eine der wenigen Bewegungen, die Sam keine Mühe bereiteten. Er hob die Hände und zeigte an, wie weit sie von ihrem Ziel entfernt waren. Dies würde eine kurze Fahrt werden, aber wie kurz? Bis zum Nachmittag? Bis morgen? Homan wünschte, Sam würde seine Gebärden kennen. Doch der Junge konnte seine Handgelenke und Ellbogen kaum beugen, und bis auf einen Daumen waren auch die Finger nahezu unbeweglich. Deshalb benutzte er den Stock, um Richtungen anzugeben, einen Becher mit Henkel zum Trinken und eine Ledermanschette, an der Besteck zum Essen angebracht war. Meistens verständigte er sich mit seiner Mimik

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