Die Geschichte eines schoenen Mädchens
durcheinander. »Das sind wir!« und »Wir sind berühmt!«
Niemand bekam mit, was John-Michael als Nächstes sagte. Aber sie sahen, wie er das Vorzimmer der Direktion betrat, an Maude, die ihn seltsam anstarrte, vorbeiging und die Tür zu Onkel Lukes Büro aufriss. Onkel Luke, der an seinem Schreibtisch saß, schaute erschrocken auf. John-Michael sagte etwas, und in Onkel Lukes Augen blitzte erst Argwohn, dann Wut auf. Er sprang auf. Maud eilte aufgeregt herein. Dann erschien Mr. Edgar, Onkel Lukes muskulöser Chauffeur, versuchte, John-Michael aus dem Büro zu scheuchen, und legte die Hand auf die Kameralinse.
Keiner von ihnen wusste, was das alles zu bedeuten hatte, aber so etwas hatten sie noch nie erlebt. Sie waren im Fernsehen! Onkel Luke hatte ausgesehen wie ein Idiot! Überall schrillten Telefone!
»Oh, oh«, sagte Doreen zu Lynnie, »da bekommt jemand Ärger.«
Lynnie lehnte sich zurück – die Angst wich einem aufregend prickelnden Gefühl.
Kate kam zu ihr und hielt die Hand hoch. Lynnie stand auf und hob auch den Arm, grinsend klatschten sie sich ab.
Lynnie schaute an Kate vorbei aus dem Fenster in den Nachthimmel. Die leuchtende Uhr auf dem Turm versuchte nach wie vor, sie alle mit ihrem Licht einzuschüchtern. Zum ersten Mal in ihrem Leben funkelte Lynnie zurück.
A Tisket, A Tasket
1974
Es ist ein Wunder , dachte Kate, als sie zum Parkplatz ging. Der Februarschnee glitzerte in der Sonne. Vielen Dank, lieber Gott, betete sie. Danke, dass Dr. Everett so entsetzt über die Zustände in der Schule war, dass er gekündigt hat. Danke, dass du John-Michael Malone mit Dr. Everett zusammengebracht und ihnen den Mut geschenkt hast, sich mit einem Kameramann hier einzuschleichen. Danke, dass du es John-Michael möglich gemacht hast, seinen Fernsehbericht in mehreren Staaten zu senden. Danke, dass du eine Frau in ihrem Apartment dazu gebracht hast, von ihrem Dinner aufzuschauen und in den Fernseher zu sehen, und dass sie das Tor wiedererkannt hat. Danke, dass du dieser Frau im Laufe der nächsten Wochen immer mehr Stärke verliehen hast, bis sie den Telefonhörer in die Hand genommen hat. Danke, dass Maude den Anruf entgegengenommen und der Anruferin versprochen hat, Nachforschungen anstellen zu lassen, ob eine Evelyn Goldberg in dieser Einrichtung lebt. Möglicherweise wäre Maude nie tätig geworden, wenn der Druck der Presse nicht gewesen wäre und der Gouverneur der Schule keinen Besuch abgestattet hätte. Danke, dass Doreen gerade im richtigen Moment die Post abgeholt und Maude die Bitte der Anruferin an sie weitergeleitet hat. Dass Doreen nicht ins Archiv, sondern zu mir gelaufen ist und mir alles erzählt hat, was sie wusste. Am meisten danke ich dir jedoch für das Wunder, dass die Frau dielange Fahrt hierher trotz des Schnees und ihres »unbedeutenden Jobs«, wie sie es am Telefon ausdrückte, auf sich genommen hat . Es war ein Wunder der Liebe. Und die Liebe ist das größte Wunder von allen – das war Kate klar, seit Scott vor ein paar Tagen vor ihr auf die Knie gefallen war und ihr einen Antrag gemacht hatte.
Kate schaute auf ihre Uhr. Zwölf Uhr fünfzehn. Genau richtig. Albert winkte einen verrosteten Ford Falcon auf einen der Besucherparkplätze. Es war erstaunlich, dass jemand, der von Ithaca, New York, kam, seine Ankunftszeit so präzise angeben konnte. Doch ein Blick auf die groß gewachsene Frau am Steuer genügte Kate, um zu wissen, dass Hannah jemand war, der Wort hielt.
Kate winkte, als Hannah, in Dufflecoat und langem, weiten Rock, ausstieg. Hannah brauchte einen Moment, bis sie Kate bemerkte. Die Turmuhr schien sie in den Bann zu ziehen. Irgendwann ließ sie den Blick schweifen. Kate winkte noch einmal. Sie gingen aufeinander zu: Kate lächelnd und mit beschwingtem Gang; Hannah ernst und unsicher. Sie ist die Schwester, dachte Kate. Sie hat keinen Grund, unangenehm berührt zu sein. Doch plötzlich verstand Kate: Hannah war Lynnies Familie, und die alte Lynnie, die Hannah gekannt hatte, gab es längst nicht mehr.
Die beiden Frauen, die sich noch nie begegnet waren, umarmten sich.
»Es ist seltsam, wieder hier zu sein«, sagte Hannah, als sie den Hügel hinunter zu Kates Büro gingen. Ihre Stimme bebte. »Ich habe so oft an diesen Ort gedacht. Er taucht immer wieder in meinen Träumen auf.«
»Wann waren Sie zum letzten Mal hier?«
»An dem Tag, an dem wir Lynnie hergebracht haben. Ich habe diese Schule erst in dem Fernsehbericht wiedergesehen.« Sie unterdrückte ein
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