Die Geschichte eines schoenen Mädchens
weiter, weil ihnen die Feldarbeit und die zweimal täglich stattfindenden Sitzungen auf den Kissen bei geschlossenen Augen zu viel waren. Homan hingegen fügte sich ein, ohne auch nur den blassesten Schimmer zu haben, was das alles sollte. Seine Erleichterung, ein Dach über dem Kopf, Verpflegung und die Großzügigkeit der Gastgeber genießen zu dürfen, überwog das Unbehagen, das seine Unwissenheit mit sich brachte. Er war nur unzufrieden, wenn seine Erinnerungen nach Osten wanderten.
Die Jungs neben ihm waren nicht die einzigen Musiker. Andere gesellten sich jeden Abend im Gemeinschaftsraum zu ihnen und spielten auf ihren Instrumenten, während die Frauen sauber machten und die Kinder draußen spielten. Zu dieser Tageszeit richtete sich Homan in dem Sessel gemütlich ein, den alle als seinen betrachteten: einen gepolsterten gelben Sessel mit einem Loch in der Armlehne und einem Sück Stoff über dem Kopfteil. Er fühlte sich an den Liegestuhl erinnert, den er in Sams Van festgeschraubt hatte, doch dieser hier hatte eine tiefere Sitzfläche und war ideal für seine langen Beine. In diesem Sessel hätte er den Rest seines Lebens zubringen können.
Weißer Schmetterling deutete zum Haus, und die zwei Jungs nickten, ohne ihre Schubkarren loszulassen. Homan fragte sich, ob sie ihn ins Haus zurückschicken wollten, weil es dort etwas für ihn zu tun gab. Er wusste morgens nie, was er an diesem Tag arbeiten würde – er machte alles, was sie von ihm verlangten, angefangen vom Pflanzenüber Ernten bis hin zu Marmeladeeinkochen, aber heute wäre es ihm lieber, wenn er zurück ins Haus könnte, weil er ziemlich müde war. Am Abend zuvor war er lange aufgeblieben, weil er so fasziniert gewesen war von den beiden Trommlern, die zu Besuch waren. Sie hatten ihre Trommeln auf den Schoß gestellt oder zwischen die Beine geklemmt und dann mit den Handflächen den Rhythmus geschlagen. Er selbst hatte die Hände auf den vibrierenden Boden gedrückt, um den Beat zu fühlen, bis die Musiker ins Bett gingen. Doch einer der Trommler, ein Farbiger mit orange und grün gemustertem Hemd, blieb bei ihm und zeigte ihm ein Poster, auf dem zwei Männer mit Medaillons am Hals und in die Luft gereckten Fäusten abgebildet waren. Der Trommler versuchte ihm zu erklären, wer das war, aber Homan verstand nichts. Allerdings hatte er sich mittlerweile so sehr an diesen Zustand gewöhnt, dass er der Verwirrung und Furcht, die ihn überkamen, einen Namen gegeben hatte: Es war für ihn das Gefühl der Inkorrektheit.
Die Jungs nickten Weißer Schmetterling zu. Dann setzten sie ihren Weg über den Hügel fort, und vor ihnen öffnete sich ein weites, grünes Tal.
Homan musste nicht wissen, wo er war. Er wohnte zusammen mit etwa dreißig anderen – Männern, Frauen und Kindern – in einem großen Haus. Nur zwei der anderen hatten graue Haare, und niemand hatte eine Behinderung wie die Insassen im Knast oder die Leute in der Kirche. Dem Haus war eine Farm angeschlossen, wo Tiere gehalten und Obst und Gemüse angebaut wurden. Einige der Bewohner waren für das Käsemachen verantwortlich, andere bündelten Blumen zu Sträußen. Jeder hatte eine Aufgabe, sogar die beiden Grauhaarigen – ein drahtiger Mann in orangefarbenem Kittel und eine gertenschlankeFrau in langem, wallendem Kleid. King Orange und Queen Long Dress. Sie erledigten die Büroarbeiten.
Homan brachte noch mehr über seinen Standort in Erfahrung – etwas Wunderbares. In seinem ersten Jahr wollte einmal einer der Trucks nicht anspringen, und ein Mann öffnete die Motorhaube. Homan sah sich die Maschine an und erkannte das Problem sofort. Er zeigte es den anderen mit den Händen – nicht mit seinen Gebärden, für die sich seine Mitbewohner nie interessiert hatten –, sondern mit Bewegungen, denen Hörende folgen konnten. Sie kapierten, welches Ersatzteil sie brauchten. Dann winkten ihn drei Männer herbei und stiegen mit ihm in ein grünes Auto, das einen runden Rücken wie eine Schildkröte hatte. Zusammen verließen sie die Farm und fuhren in die Stadt.
Auf der Fahrt empfand Homan dieselbe Dankbarkeit, die ihn ergriffen hatte, als sie ihn an der Tankstelle aufgelesen hatten – in diesem Augenblick hoffte er, nie wieder etwas anderes zu empfinden. Doch ab und zu kam ein anderes Gefühl in ihm auf – eines, das so grässlich war, dass er es nicht benennen wollte. Am Anfang seiner Reise hatte es als Brennen in den Eingeweiden begonnen und war mit der Zeit angewachsen. Es entzündete
Weitere Kostenlose Bücher