Die Geschichte eines Sommers
Alpträumen. Dann gewöhnte er sich an, jede Nacht zu Samuel ins Bett zu kriechen, und die Träume endeten so abrupt, wie sie begonnen hatten.
Toy wurde aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen, allerdings nicht zu sich nach Hause, sondern zu Calla. In seinem Zuhause wäre es sehr einsam gewesen, da Bernice ständig mit Samuel unterwegs war, um Werbung für das Revival zu machen. Außerdem wollten Willadee und Calla Toy in ihrer Nähe haben, damit sie sich um ihn kümmern konnten.
Bernice fand, das Krankenhaus habe ihn ein bisschen zu früh entlassen.
Es wurde Weihnachten, und Swan stellte erleichtert fest, dass die Familie Lake nicht länger vorsichtig war. Die Besucherzahlen beim Revival waren zwar zurückgegangen, als es den meisten Leuten zu kalt geworden war, doch die Spendeneinnahmen waren bisher sehr gut gewesen, und Samuel hatte einiges Geld zurücklegen können. Es gab Geschenke für jeden.
Alle Onkel, Tanten, Vettern und Cousinen kamen zum Weihnachtsessen. Es waren so viele Leute, dass man sich im Haus kaum noch bewegen konnte, was Calla sehr recht war. Es war ihr erstes Weihnachtsfest ohne John, und sie wollte nicht den ganzen Tag an ihn denken und ihn vermissen müssen. Doch nachdem alle, die nicht bei ihr wohnten, nach Hause aufgebrochen waren, ging sie zum Friedhof, blieb lange in der Kälte an seinem Grab stehen und wünschte sich, die Zeit zurückdrehen zu können.
Ras Ballenger tauchte am späten Nachmittag auf, um Geschenke für Blade vorbeizubringen. Calla dankte ihm noch einmal, dass er bei Toys Rettung geholfen hatte. Blade versteckte sich in Bienvilles Zimmer, bis sein Daddy fort war, und weigerte sich, die Geschenke zu öffnen.
Seine Alpträume kehrten wieder zurück.
Es wurde Januar. Im ersten Monat des neuen Jahres kamen weniger Leute zum Revival, aber immer noch so viele, dass Samuel nicht im Geringsten in Erwägung zog, die Sache zu beenden. Waren weniger Leute da, so wurden die Gottesdienste intimer. Noch immer legten Menschen Zeugnis ab – Bernice jeden Abend –, und es rührte die Leute jedes Mal. Am Ende jedes Gottesdienstes traten noch immer Sünder vor, und auch die Musik wurde immer besser.
Swan wurde zwölf und Noble dreizehn, beide in der gleichen Woche. Swan wünschte sich von ihrer Mutter einen BH und bekam stattdessen ein Unterhemd. Aus dem Versandhauskatalog. Toy schenkte Noble die Schlüssel von Papa Johns Truck, der immer noch nicht richtig lief, da der Motor noch immer nicht ausgebaut worden war. Calla hatte eine umgestülpte Ananastorte – mit dem Obst zuoberst – gebacken, auf die man keine Kerzen stellen und sich also nichts wünschen konnte, weil es nichts auszupusten gab, doch niemand vermisste die Kerzen. Wenn man Ananastorte isst, braucht man nicht mehr, um wunschlos glücklich zu sein.
Ende Januar erklärte Toy eines Morgens beim Frühstück, er sei in ein paar Tagen wieder bereit, den Betrieb vom »Never Closes« wiederaufzunehmen. Als Willadee das hörte, war sie so glücklich, dass sie vor lauter Freude fast in Tränen ausgebrochen wäre. Bernice hingegen war sich gar nicht so sicher, ob das für Toy richtig wäre, wo er doch an der Schwelle zum Tod gestanden hatte und noch immer nicht wieder ganz bei Kräften war.
In Wirklichkeit beunruhigte sie natürlich vielmehr, dass Willadee somit wieder genügend Zeit für ihre ureigenen Pflichten hätte, würde Toy die seinen übernehmen, was nicht im Geringsten fair war. Mittlerweile hatte Bernice Samuels Vertrauen gewonnen und erreicht, dass er ihr glaubte. Und wenn sie manchmal zusammen sangen, verschmolzen ihre Stimmen so wunderschön, als wäre es eine einzige. Doch nun würde Willadee alles wieder zunichtemachen. Bernice wusste nur zu gut, dass eine Frau, die das Bett mit einem Mann teilt, einen teuflischen Vorteil hat gegenüber einer Frau, die es nie geschafft hat, diesen Mann ins Bett zu kriegen. Demzufolge sah sie ihre Chancen – oder was sie dafür hielt – immer mehr schwinden.
Sie hatte vorgehabt, die Situation so geschickt einzufädeln, dass Samuel das Gefühl gehabt hätte, die ganze Sache wäre seine Idee gewesen. Doch Bernice hatte nicht ewig Zeit, und er brauchte offenbar ewig. Er ließ ihr also keine andere Wahl, als ihn zu verführen. Immerhin hatte er reichlich Gelegenheit gehabt, den ersten Schritt zu tun.
Im Endeffekt ging es darum: Würde sich alles in ihrem Sinne entwickeln, würden sie und Samuel sich stürmisch vereinigen, dann wäre das der Beginn einer lebenslangen
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