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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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Glückseligkeit. Sollte ihr Plan jedoch scheitern, wäre das Leben nicht mehr lebenswert. Sie würde sich umbringen müssen.
    In jener Nacht war der Gottesdienst besonders emotional. Bernice freute sich darüber, denn so wie ein Bach in einen Fluss mündet, können auch spirituelle Gefühle sich leicht in Gefühle anderer Art wandeln. Nachdem sich die Menge zerstreut hatte, waren sie und Samuel noch immer völlig verzückt von dem Erlebnis.
    »Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich Gott für diese Erfahrung bin«, sagte sie, nachdem sie gemeinsam die Stühle gerade gerückt und alles aufgeräumt hatten. Sie standen im hinteren Bereich des Zelts, und Samuel wollte gerade das Licht ausschalten. Es schien der perfekte Augenblick für ein solches Gespräch zu sein, und Bernice glaubte, der Hinweis auf Gott würde dem Ganzen den richtigen Touch geben. »In den letzten Wochen bin ich glücklicher gewesen als in meinem gesamten bisherigen Leben.«
    Samuel lächelte. »Du hast mehr als deinen Anteil dazu beigetragen, dass alles so gut gelungen ist. Ich weiß gar nicht, was ich all die Wochen ohne dich gemacht hätte.«
    Sie streckte die Hand aus, und das Licht erlosch.
    »Ich weiß gar nicht, wie wir es überhaupt so lange ohne einander aushalten konnten«, flüsterte sie und trat so dicht an ihn heran, dass strategisch wichtige Teile ihres Körpers seinen Körper streiften. Samuel wich sofort zurück und schaltete das Licht wieder an. Er war so schockiert, dass seine Hände zitterten.
    »Was tust du da, um alles in der Welt?«, fragte er mit heiserer Stimme.
    Seine Reaktion versetzte ihr einen leichten Dämpfer, dennoch nahm sie an, dass seine Heiserkeit das Resultat seiner Erregung war.
    »Samuel«, schmachtete sie.
    »Bernice, wir müssen jetzt sofort nach Hause, wo wir hingehören. Du hast einen Mann, der auf dich wartet, und ich hab eine Frau.«
    »Aber du empfindest genauso wie ich«, beharrte sie, nahm seine Hände und führte sie dorthin, wo er sie ihrer Meinung nach am liebsten berühren wollte. »Das weißt du doch.«
    Samuel riss die Hände weg und starrte Bernice an.
    »Nein«, sagte er, »das tue ich nicht. Und wenn du etwas Ungehöriges empfindest, dann musst du Gott bitten, dir zu helfen, es zu überwinden.«
    »Etwas Ungehöriges?« Sie war empört. »Etwas Ungehöriges?« Ihre Stimme wurde lauter und schriller.
    »Bernice, ich bringe dich jetzt nach drüben«, sagte Samuel.
    Er nahm ihren Arm.
    Sie riss sich los.
    »Den Teufel wirst du tun!« Sie kochte vor Wut. »Glaubst du etwa, du kannst mich einfach rüberführen, mich Toy auf den Schoß fallen lassen und sagen ›Hier ist sie, ich bin fertig mit ihr‹?«
    Samuel wich zurück und hörte fassungslos zu.
    »Wir sind noch nicht miteinander fertig, Samuel. Wir werden nie miteinander fertig sein. Ich bin diejenige, die zu dir gehalten hat, als allen klar wurde, dass du nicht mehr weiterweißt. Ich war dir eine größere Hilfe als deine Frau, die immer nur da drüben hinter der Theke steht und wahrscheinlich in diesem Moment gerade von den Stammgästen befummelt wird.«
    Samuel schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab. Bernice spürte, dass sie gerade einen wunden Punkt berührt hatte, also versuchte sie ihren Vorteil zu nutzen.
    »Ich hab gehört, dass Calvin Furlough unheimlich oft im ›Never Closes‹ ist, seit Willadee dort arbeitet«, sagte sie. »Und du weißt doch, wie gut Calvin mit Frauen umgehen kann. Eine Frau braucht ihn nur im Traum zu sehen, dann ist sie schon hellwach.«
    Samuel rieb sich die Augen und lachte. Es war zwar ein hohles Lachen, aber nichtsdestotrotz ein Lachen, und niemand durfte über Bernice Moses lachen.
    »Lach mich nicht aus, Sam Lake«, sagte sie warnend.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Es tut mir leid, dass ich gelacht habe. Es ist ohnehin nicht lustig, sondern viel eher erbärmlich.«
    Er hatte gesagt, es sei erbärmlich, was gleichbedeutend damit war, dass sie erbärmlich war. Bernice starrte ihn wütend an. Plötzlich hasste sie ihn. Verachtete ihn.
    »Es ist erbärmlich«, fuhr Samuel fort, »weil du jede gute Sache zerstören musst. Du kannst nicht mal ertragen, dass etwas Gutes existiert. Du vergiftest alles, was du anfasst.«
    »Vergiften«, murmelte sie. »Das ist die Idee.«
    Damit wandte sie sich ab und ging davon.
    In dieser Nacht lag Samuel lange wach und dachte darüber nach, ob Bernice ihm mit ihren letzten Worten hatte weismachen wollen, dass sie sich selbst oder jemand anderen umbringen würde.

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