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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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gesetzlich verboten, dass ich …«
    »Du brauchst ja nicht ganz reinzugehen. Geh durchs Haus, steck den Kopf durch die Tür, und sag deiner Mama, sie soll Bootsie sagen, dass er was für mich erledigen muss.«
    »Und wenn er betrunken ist?«
    Samuel bemühte sich um Geduld, doch je mehr Bedenken Noble äußerte, desto nervöser wurde er. Auch seine kleine Schar Gläubiger wurde langsam unruhig. Entweder musste er jetzt mit der Musik beginnen oder den Leuten nahelegen, nach Hause zu gehen.
    »Tu es einfach«, sagte er. »Und zwar sofort.«
    Noble rannte zum Haus, Samuel stieß einen tiefen Seufzer aus, streifte seinen Gitarrengurt über den Kopf und trat ans Mikrophon. Die Besucher beruhigten sich und warteten gespannt. Samuel zupfte an den Saiten, während er in Gedanken alle die verschiedenen Lieder durchging und das richtige für diesen Augenblick zu wählen versuchte. Er und Bernice hatten eine Liste von Liedern vorbereitet, doch die meisten davon hörten sich zweistimmig um ein Vielfaches besser an, als wenn sie einstimmig gesungen wurden. Nach kurzem Überlegen öffnete Samuel endlich den Mund, und sein angenehmer Tenor tönte durch die Nacht.
    »I am weak, but Thou art strong«, sang er, und es war, als würde er die Leute verzaubern. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind, alle wurden plötzlich ruhig und gelassen, lächelten sanft und wiegten sich wie das Gras im Wind zur Musik.
    Willadee war nicht wenig überrascht, als Noble den Kopf durch die Tür steckte und ihr sagte, sein Daddy wolle mit Bootsie Phillips sprechen.
    »Was will er denn von Bootsie, um alles in der Welt?«
    »Das hab ich ihn auch gefragt«, antwortete Noble. »Aber er hat es mir nicht gesagt.«
    Willadee zuckte mit den Schultern und drehte den Kopf zu Bootsie, der in halb nüchternem Zustand an der Theke saß und die Stammgäste im Auge behielt.
    »Brauchst du was, Willadee?«, fragte er eifrig, sobald er merkte, dass sie in seine Richtung blickte.
    »Samuel möchte, dass du rüberkommst.«
    »Was, um alles in der Welt, will denn Samuel von …?«
    »Das weiß kein Mensch. Aber es muss was Wichtiges sein, sonst hätte er nicht Noble hergeschickt.« Wenn sie ehrlich war, glaubte sie allerdings nicht wirklich, dass es tatsächlich so wichtig war. Als es das letzte Mal eine Krise beim Revival gegeben hatte, hatte in Samuels Verstärker eine Rattenschlange gelegen, die er nicht entfernen konnte. Doch es tat Bootsie gut, wenn er das Gefühl hatte, gebraucht zu werden.
    Noch bevor Willadee ausgeredet hatte, war Bootsie von seinem Hocker aufgesprungen, stand kerzengerade wie ein Oberfeldwebel und bedeutete Noble voranzugehen.
    »Und dass ihr euch nur ja benehmt, während ich weg bin!«, rief er den Gästen zu. »Wenn nicht, kriegt ihr es nachher mit mir zu tun.« Und zu Willadee sagte er: »Ich bleib nicht länger als unbedingt nötig.«
    Willadee lächelte, wie sie immer lächelte, wenn Bootsie ihr feierlich etwas erklärte oder seine Beschützerrolle spielte. Bisher hatte sie im »Never Closes« noch nie das Gefühl gehabt, Schutz zu brauchen. Alle Stammgäste schienen sich für ihre Sicherheit verantwortlich zu fühlen und achteten darauf, was sie sagten, wenn Willadee in der Nähe war. Bootsie war übrigens nicht der einzige Mann, der seinen Alkoholkonsum eingeschränkt hatte, seit Willadee hier das Ruder übernommen hatte.
    Als in der Jukebox der Countrysong »Crazy Arms« zu Ende ging, hörte Willadee plötzlich die Musik von gegenüber. Samuel sang hell und klar. Alleine. Willadee hörte einen Moment zu und fragte sich, weshalb sie die Stimme von Bernice nicht hörte. Samuels Lied endete in dem Moment, als ein lautes, stampfendes Hillbilly-Stück aus der Jukebox begann und Willadee selbst ihre eigenen Gedanken nicht mehr hören konnte.
    Samuel hatte alle anwesenden kleinen Kinder am Rande der Bühne aufgereiht und sang mit ihnen »This Little Light of Mine«. Als er Noble und Bootsie ins Zelt kommen sah, bedeutete er Noble mit einem Nicken, sich hinzusetzen, und schlüpfte mit Bootsie durch die Zeltklappe in die eisige Nachtluft hinaus.
    Bootsie stand auf einigermaßen sicheren Beinen und sah Samuel in die Augen.
    »Was gibt’s, Prediger?«
    Samuel erklärte ihm, seine Schwägerin sei nicht zum Gottesdienst erschienen und habe auch niemanden angerufen, um Bescheid zu sagen, dass sie nicht kommen würde. Er mache sich Sorgen um sie und brauche eine zuverlässige Person, die nach ihr sehen könnte.
    »Höchstwahrscheinlich ist alles in

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