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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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näherte er sich einer Kiste Wild Turkey. Damit würde sich zwar alles ändern, das wusste er, niemand würde ihm je wieder vertrauen, doch verdammt, er brauchte einen kräftigen Schluck Bourbon, und er brauchte ihn sofort. Er griff in die Kiste, nahm eine Flasche heraus, öffnete sie und vergaß, weshalb er hergekommen war.
    Er wollte gerade ansetzen zu trinken, als er wieder ein Stöhnen hörte, diesmal lauter. Das Geräusch ließ ihn sofort in die Gegenwart zurückkehren, und er fuhr so heftig zusammen, dass er einen tüchtigen Schluck der kostbaren Flüssigkeit über sich verschüttete.
    »So ein Mist«, stöhnte Bootsie kläglich auf, stellte die Flasche hin und eilte aus dem Raum.
    Er fand Bernice im Badezimmer. Mit dem Gesicht nach unten lag sie auf dem Fußboden, wie Gott sie erschaffen hatte. Ihr Körper war genauso makellos, wie er und alle anderen Männer, die sie jemals in bekleidetem Zustand gesehen hatten, sich das vorgestellt hatten, doch Bootsie nahm ihre Schönheit wegen des vielen Blutes gar nicht wahr. An der Badewannenseite waren dicke rote Flecken, Bernice’ Haar war schrecklich verklebt, und auf ihrer Haut befanden sich ebenfalls blutige Flecken.
    Bootsie fühlte sich, als hätte man ihm ein Kantholz an den Kopf geknallt. Er rang um Luft und war einige Sekunden lang nicht in der Lage, auch nur seine Beine zu bewegen. Dann fing er sich, raste in die Küche und schnappte sich das Telefon. Da er erst zwei ältere Damen anblaffen musste, den Gemeinschaftsanschluss freizumachen, da er einen dringenden Anruf machen musste, dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis er Early Meeks am Apparat hatte. Bootsie war so durcheinander, dass er nicht einmal das verräterische Klicken hörte, mit dem die alten Schnepfen ihre Hörer wieder abnahmen, um zu erfahren, was die ganze Aufregung eigentlich sollte.
    Early hörte sich Bootsies Geplapper so lange an, bis er verstanden hatte, dass Bernice schwer verletzt war, möglicherweise sterben würde und alles voller Blut war.
    »Ist sie ansprechbar?«, fragte Early.
    »Ist sie was?«
    »Kann sie sprechen? Kann sie die Augen öffnen und dich ansehen?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß es nicht!« Bootsie fing an zu weinen. Er hatte furchtbare Angst, und ihm war so schlecht. »Sie liegt auf dem Bauch, und ich trau mich nicht, sie anzufassen.«
    »Und woher weißt du, dass sie noch lebt?«
    »Tote stöhnen nicht«, sagte Bootsie, »und sie stöhnt die ganze Zeit.«
    »Gut. Ich rufe einen Krankenwagen und bin gleich bei dir«, sagte Early. »Geh nirgendwohin, hast du mich verstanden, Bootsie?«
    Bootsie hatte ihn sehr wohl verstanden und wusste, was Early tatsächlich meinte. Er wollte ihm sagen, was auch immer mit Bernice Moses passiert war, mit großer Wahrscheinlichkeit würde man ihn, Bootsie Phillips, dafür verantwortlich machen.
    Als Early am Haus von Toy und Bernice eintraf, stand Bootsie würgend auf der Veranda.
    »Wo ist sie?«, fragte Early und lief die Treppe hinauf.
    »Badezimmer«, stieß Bootsie hervor, während er gegen den Brechreiz ankämpfte.
    Mit großen Schritten ging Early an ihm vorbei ins Haus. Bootsie lauschte auf seine Schritte, und als nichts mehr zu hören war, machte er sich auf das Schlimmste gefasst. Eine komplette Minute herrschte entsetzliches Schweigen, dann dröhnte Earlys Stimme wie Kanonendonner durchs Haus.
    » BOOTSIE ! KOMM REIN !«
    Das war’s dann wohl. Bernice musste gestorben sein, und Bootsie war der Hauptverdächtige. Es hatte keinen Sinn fortzulaufen, weil er sich nirgendwo verstecken konnte. Das kam eben davon, wenn man halb nüchtern herumlief, sagte er sich grimmig. Hätte er seine Trinkgewohnheiten nicht gemäßigt, wäre er um die Zeit längst im »Never Closes« abgetaucht, so sicher, wie ein Baby in den Armen seiner Mutter einschläft. Er wäre wunderbar betrunken und würde möglicherweise schon unter dem Pooltisch schnarchen. Aber nein, ihm war es ja plötzlich wichtig gewesen, was andere von ihm hielten. Also hatte er sich gebessert, um die Leute zu beeindrucken, und damit hatten seine Probleme angefangen. Nun blieb ihm nichts anderes übrig, als die Suppe auszulöffeln, die er sich eingebrockt hatte.
    Widerstrebend ging er ins Haus. In der Ferne ertönten Sirenen, die immer schriller wurden, je näher sie kamen. Bootsie spürte, wie ihm die Beine einknickten, schaffte es aber, weiterhin einen Fuß vor den anderen zu setzen. An der Tür zum Badezimmer blieb er stehen. Er war nicht in der Lage, auch nur einen einzigen

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