Die Geschichte eines Sommers
Ordnung«, sagte er, »aber man kann ja nie wissen. Vielleicht hat sie ja einen Platten oder sonst ein Problem mit ihrem Auto.« Samuel fügte nicht hinzu, dass sie sich vergiftet haben könnte oder vielleicht zu Hause einen Selbstmord plante.
Bootsie schwoll vor Stolz die Brust, weil man ihm eine so große Verantwortung übertrug, und versicherte Samuel, er würde die Aufgabe gerne übernehmen und dass es nicht viel gebe, was er nicht für die Familie Moses oder die Familie Lake tun würde.
»Ich bin dir übrigens auch dankbar dafür, dass du so gut auf Willadee aufpasst. Du bist ein guter Mensch, Bootsie.« Dabei verpasste Samuel ihm noch einen heftigen Schlag auf den Rücken. Bootsie schwankte wie ein Seemann an Deck hin und her, schaffte es aber irgendwie, nicht das Gleichgewicht zu verlieren und umzukippen.
»Ich geb mir ja echt Mühe«, sagte er ernst, »aber es ist nicht so einfach, wie’s aussieht.«
Während der Fahrt zum Haus von Toy und Bernice dachte Bootsie die ganze Zeit, was für ein gutes Gefühl es war, wenn die Leute sich auf einen verließen und um Hilfe baten, wenn sie ein Problem hatten. Vor noch nicht allzu langer Zeit hätte keine Menschenseele im County ihm zugetraut, auch nur nach dem Familienhund zu sehen, ganz zu schweigen von einer zarten und schönen Frau wie Bernice Moses.
Bootsies Holztransporter war eine lädierte uralte Karre, die ratterte, klapperte, bebte und keuchte und ständig nach links zog. Bootsie musste das Lenkrad mit beiden Händen umklammern und höllisch aufpassen, kein entgegenkommendes Fahrzeug zu rammen. Normalerweise fuhr er schnell und aggressiv, als wollte er unbedingt wissen, was passierte, wenn sich die Räder des Transporters selbstständig machten, doch an diesem Abend tuckerte er gemächlich dahin und suchte den Straßenrand nach einem liegen gebliebenen Auto oder einer hektisch winkenden Frau ab. Das einzige hektische Lebewesen, das er auf seiner Fahrt sah, war ein Eichhörnchen, das herumwirbelte und sich offenbar nicht entscheiden konnte, ob es ihm unter die Räder laufen oder im Wald verschwinden sollte.
Als er Toys Haus erreichte, brannte nirgendwo Licht, nicht einmal auf der Terrasse. Bootsie tastete sich in der Dunkelheit über den Hof und dann die Treppe hinauf.
»Ist hier jemand?«, rief er. Nur das Kratzen eines Zweiges an der Hauswand war zu hören.
Er klopfte mehrere Male, doch als sich nichts tat, öffnete er die Tür, ging vorsichtig ins Haus und schaltete das Licht an. Das Wohnzimmer sah so aufgeräumt aus, als würde dort niemand wohnen.
Er ging weiter durch das Haus.
Das winzige Esszimmer war genauso tadellos sauber wie das Wohnzimmer und die Küche – bis auf den Tisch. Als Bootsie das Sammelsurium von Dosen und Flaschen entdeckte – Reinigungsmittel und Medikamente –, glaubte er zu wissen, warum Bernice nicht beim Revival erschienen war. Offenbar hatte sie bis zur Erschöpfung das Haus geputzt und außerdem Menstruationsbeschwerden, die, wie er von seiner Frau wusste, schmerzhafter waren, als sich das ein Mann vorstellen konnte. Wahrscheinlich hatte sie etwas von dem Cardui-Tonikum und eine Beruhigungspille genommen und war früh zu Bett gegangen. Die Miltown-Pille sorgte sicher dafür, dass sie jetzt tief und fest schlief. Für das verstreute Rattengift hatte Bootsie zwar keine Erklärung, aber er hatte in dieser Nacht bereits mehr nachgedacht, als er das normalerweise in einer ganzen Woche tat, sodass ihn dieses kleine Detail nicht weiter beunruhigte.
Er überlegte kurz, ob er das Schlafzimmer suchen und einen Blick hineinwerfen sollte, um sich zu vergewissern, dass seine Theorie stimmte, hatte aber gewisse Bedenken. Wenn Bernice nun aufwachte und glaubte, er sei eingebrochen und wolle ihr etwas Böses antun? Oder wenn Toy nach Hause kam und die ganze Situation missverstand? Dann könnte Bootsie enden wie Yam Ferguson – mit dem Kopf in der falschen Richtung.
Bootsie war der Meinung, seine Aufgabe erfüllt zu haben, und schlich auf Zehenspitzen zur Haustür zurück.
Plötzlich hörte er etwas. Ein leises, rasselndes Stöhnen.
Er wandte sich um und ging dem Geräusch nach. Das erste Zimmer, in das er hineinsah, war der Raum, in dem Toy seinen Schnaps lagerte. Kisten mit Bourbon, Scotch, Wodka, Gin, Rum und Gott weiß was noch standen hier herum – alles, wovon ein wahrer Trinker nur träumen kann. Und plötzlich befand Bootsie, dass er eigentlich genug davon hatte, halb nüchtern zu sein.
Mit schlechtem Gewissen
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