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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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ihres Mannes zu schützen. Sie war eine Moses, und in der Familie Moses hielt man nichts von Lügen. Man konnte eine Menge Dinge tun, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, aber Lügen fiel nicht darunter. Gleiches galt jedoch nicht unbedingt für die Kinder der Moses. Swan erzählte Lügen und hatte sogar Spaß daran. Sie erfand die wunderbarsten und die grausigsten Geschichten und gab sie für wahr aus. Das Gute an Lügen war, dass ihre Möglichkeiten schier unbegrenzt waren. Mit ihnen konnte man sich eine Welt ausdenken, die genau so war, wie man sie sich wünschte. Und wenn man sich nur fest genug hineinversetzte, kam sie einem schließlich sogar wirklich vor.
    Die Gemeindemitglieder mochten sich noch so große Mühe geben, dem Prediger zu beweisen, wie rechtschaffen sie waren, sie mochten ihm erzählen, was für ein Segen er für sie war, von Nächstenliebe reden, als hätten sie die erfunden, und trotzdem zeigten sie ihm nie ihr wahres Gesicht. Manchmal sagten sie sogar hässliche Dinge hinter seinem Rücken. Einen Ausspruch hatte Swan schon häufiger gehört, und der war der gemeinste, den man über jemanden sagen konnte, außer vielleicht noch: »Rübe ab!«
    »Die Kinder von Predigern sind die schlimmsten überhaupt.«
    Es sagte zwar nie jemand, inwiefern sie die schlimmsten waren, aber sie unterstellten stillschweigend, dass alle Predigerkinder verbotene Abenteuer erlebten, und Swan würde sich niemals zu Leuten hingezogen fühlen, die sie wegen etwas schlechtmachten, das zu erleben sie noch gar keine Gelegenheit gehabt hatte.
    Swan hatte keine blasse Ahnung, wie sie sich mit Onkel Toy anfreunden sollte. Allerdings sprach einiges dafür, dass Ehrlichkeit die beste Strategie war, wenn man das Vertrauen von jemandem namens Moses gewinnen wollte, wo doch alle Moses so viel davon hielten.
    »Lovey hat gesagt, du hättest keinen Respekt für die Toten.« Swan hoffte, das war ehrlich genug, um seine Aufmerksamkeit zu wecken. Außerdem hoffte sie, dass er böse auf Lovey sein würde, weil sie so etwas gesagt hatte, und sie dann die Göre gemeinsam hassen könnten. Doch Onkel Toy lächelte nur müde.
    »Das hat Lovey gesagt?«
    »Das kannst du glauben, verdammt noch mal.«
    Swan nahm an, dass sie einem Mann gegenüber, der sich weigerte, zu den Beerdigungen seines Bruders und seines Vaters zu gehen, getrost ein bisschen fluchen konnte. Sie hatte ihn richtig eingeschätzt. Er zuckte nicht einmal zusammen.
    »Tja …« Toy sprach das Wort wieder so aus, als wäre es ein ganzer Satz. »Ich würde sagen, dass ich einen Menschen nach seinem Tod in etwa genauso respektiere wie, als er noch am Leben war.«
    »Hast du deinen Daddy denn überhaupt lieb gehabt?«
    »Das hab ich.«
    Damit war das Thema Beerdigung mehr oder weniger erledigt.
    »Bist du wirklich ein Alkoholschmuggler?«
    »Wer hat gesagt, ich sei Alkoholschmuggler?«
    »Fast alle.«
    Toy drehte den Stock in der Hand, um nach irgendwelchen Unebenheiten zu suchen. Er hatte zwar noch kein Muster hineingeschnitzt, aber der Stock war jetzt absolut glatt.
    Swan verstellte ihre Stimme, damit sie tief und bedrohlich klang. »Vielleicht bin ich ja ein Steuereintreiber. Pass auf, dass ich deine Brennerei nicht finde und dich ins Gefängnis stecke«, warnte sie ihn.
    »Du verwechselst Alkoholschmuggler mit Schwarzbrennern. Schwarzbrenner sind die Leute, die Brennereien betreiben und sich mit Steuereintreibern herumschlagen. Ein Alkoholschmuggler ist nur ein Mittelsmann. Er trifft sich im Gebüsch oder hinter der Scheune mit den Diakonen und verkauft ihnen das, was sie sich nicht trauen, in aller Öffentlichkeit zu kaufen. Wieso stellst du überhaupt so viele Fragen?«
    »Ich bin nur neugierig.«
    »Neugierige Katzen verbrennen sich die Tatzen.«
    »Ich bin keine Katze.«
    Er schielte zu ihr hinüber. »Sicher? Ich meine, ich könnte da Schnurrhaare sehen.«
    Sie lachte lauthals. Es war wunderbar, sie waren Freunde. Bald würden sie sich besser kennenlernen, sie würde alles über ihn erfahren und ihm alles über sich erzählen. Bestimmt würde er sie manchmal auf seinen Schultern reiten lassen, und wer weiß, was sie sonst noch alles zusammen machen könnten.
    »Hast du wirklich mal einen Mann getötet?«, fragte sie plötzlich, und diesmal zuckte er zusammen. Swan war sich ganz sicher, dass er zusammengezuckt war.
    »Ich habe viele Männer getötet«, sagte Toy mit tonloser Stimme. »Ich war im Krieg.«
    »Ich meine aber nicht im Krieg. Ich meine, als du Yam Ferguson

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