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Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
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Toy mit zusammengekniffenen Augen an, dann blickte er in den Wagen zu seiner Frau, die gerade dabei war, dem Baby mit ihrem Rocksaum die Nase abzuwischen. Sie wischte so eifrig, dass die Nase ganz rot wurde. Nun konnte Swan sehen, dass die Frau fast noch ein Mädchen war. Sie musste mit dem Kinderkriegen angefangen haben, gleich nachdem sie herausgefunden hatte, wo die Kleinen herkamen.
    »Haben Sie einen Grund, mir einen Gefallen zu tun, Mr Moses?«
    Toy biss die Zähne zusammen.
    »Mein Vater wird heute beerdigt, Mr Ballenger. Mama wollte, dass der Laden auf ist, falls jemand etwas braucht, aber sie wollte es sich auf keinen Fall bezahlen lassen.«
    Ballenger setzte eine angemessen traurige Miene auf.
    »Richten Sie Miz Calla mein Beileid aus«, sagte er und schwang sich auf den Fahrersitz. Der ältere der beiden Jungen hinten im Wagen hatte offenbar ein wenig Vertrauen gefasst und bewegte sich nun auf das Seitenfenster zu. In Richtung Toy. Als Ballenger die Bewegung im Rückspiegel sah, fuhr er mit der Hand nach hinten und schlug achtlos nach dem Jungen. Genauso gut hätte er nach einer Fliege schlagen können. Er erwischte den Jungen mit der Handfläche im Gesicht.
    »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht rumrutschen sollst?«, brüllte Ballenger nach hinten. Und zu Toy gewandt fügte er hinzu: »Manchmal muss man ihrem Gedächtnis einfach etwas nachhelfen.«
    Toy starrte Ballenger an, als hätte er ihn am liebsten wie einen Wurm zertreten. Die Lippen des Jungen zitterten. Er wirkte ein wenig benommen, weinte aber nicht. So jung er auch war, so wusste er doch bereits, dass man um einen zweiten Schlag herumkam, wenn man sich die Tränen verkniff.
    Swan aber hatte laut aufgestöhnt. Nun hielt sie sich die Hand vor den Mund und wünschte sich, den Laut rückgängig machen zu können. Mr Ballenger auf sich aufmerksam zu machen war in etwa so, als würde man mit nackten Füßen auf eine Mokassinotter treten, so dachte sie. Und das Gift einer Mokassinotter ist tödlich. Sie kriecht hinter einem her, bevor sie einen dann von hinten angreift.
    Ballenger drehte den Kopf in ihre Richtung, riss seine schwarzen Augen auf und grinste. Swan hätte sich am liebsten ganz klein gemacht und wäre verschwunden, doch es war zu spät.
    »Wo kommst du denn her, meine kleine Hübsche?«, fragte er.
    Toy sah sie streng an.
    »Hab ich dir nicht gesagt, du sollst verschwinden?«
    Swan drehte sich um und huschte in den Laden. Ein weiteres Auto hielt an, doch sie guckte nicht mehr, wer es war. Sie würde die Leute ohnehin nicht kennen. Dann lehnte sie sich doch gegen die Eiscremetruhe und linste durch das mit toten Insekten gesprenkelte Fenster. Der neue Kunde war eine Frau mittleren Alters in einem geblümten Baumwollkleid. Sicher eine Farmersfrau. Sie war ausgestiegen und plauderte jetzt mit Toy. Seine Stimme klang tief und dröhnend, aber sie achtete nicht weiter auf die beiden.
    Sie verfolgte stattdessen, wie der rote Kleinlaster auf die Straße abbog. Die beiden Jungen saßen wieder wie die Zinnsoldaten auf dem Rücksitz. Kerzengerade. Zwei kleine Jungen, doch Swan starrte nur auf den einen, den, der von der Mokassinotter geschlagen worden war. Wie er dasaß, mit zur Seite gelegtem Kopf, und so tat, als würde ihn das alles nichts angehen, als sei nichts geschehen. Das Gesicht des Jungen brannte sich in Swans Gedächtnis.
    Sie sah hinter dem Wagen her, bis die Straße eine Kurve machte und er von den Amberbäumen und Sumpfeichen verdeckt wurde. Bis das Surren der Räder und das Tuckern des Motors nur noch ein Wispern in der Luft waren, das sich lange weigerte zu verstummen.

5
    Manchmal, wenn Geraldine Ballenger über nichts Bestimmtes nachzudenken versuchte, sondern ihre Gedanken einfach schweifen ließ, dann begann sich eine kleine rosige Idee oder Einsicht zu formen, die schließlich schimmernd an die Oberfläche schoss. Doch diese plötzlichen Eingebungen waren flüchtig. Sie waren wie Sternschnuppen, kurz da und schnell wieder verschwunden.
    Jetzt ließ sie ihre Gedanken wieder einmal schweifen und genoss das angenehme Dahintreiben. Vorhin, als sie vor dem Laden gestanden hatten, war ein kleiner heller Lichtstrahl aufgeflackert, der immer noch in ihrem Kopf herumtanzte. Sie betrachtete ihn in Gedanken und war ganz fasziniert. Aus Erfahrung wusste sie jedoch, dass es keinen Sinn hatte, ihn auf Stärken oder Schwächen hin abzuklopfen. Wenn sie zu angestrengt versuchte, ihn zu fassen, würde er sich unweigerlich auflösen,

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