Die Geschichte eines Sommers
unzählige Möglichkeiten, John zu sagen, wie sehr ich ihn nachts im Bett neben mir vermisst habe. Wie sehr ich mir gewünscht habe, sein Haar zu riechen, seine Haut zu spüren und ihn zu berühren. Ich hätte meinen Stolz hinunterschlucken sollen, aber das hab ich nicht getan, und nun ersticke ich daran.«
Samuel hatte Willadee aufmerksam zugehört, und als sie ihn bat, niemals zuzulassen, dass irgendetwas zwischen sie trete, hatte er versprochen, dass er das niemals zulassen würde. Dann hatte er ihr von der Jahresversammlung erzählt, wie der Superintendent ihm erklärt hatte, dass die Kirchen heutzutage eine andere Art Pfarrer bräuchten als früher, doch für ihn sei das ja noch nicht das Ende , er habe ja schließlich immer noch seine Lizenz. Es sei einfach nur in diesem Jahr anscheinend keine geeignete Stelle für ihn vorhanden. Vielleicht könne er ja die Zeit nutzen, um mal ernsthaft darüber nachzudenken, wie er sein geistliches Amt nachhaltig verbessern könnte.
»Die wollen keine Prediger mehr«, hatte Samuel Willadee mit bedrückter Stimme erklärt. »Die wollen Sozialarbeiter.«
»Aber du musst doch zu dem stehen, was du für richtig hältst.«
»Ich halte es für richtig, meine Familie zu ernähren, weiß aber nicht, wie ich das noch schaffen soll.«
»Das kriegen wir schon hin.«
»Wirklich?«
»Natürlich, das weißt du doch.«
Mehrere Male hatten sie beinah angefangen, sich zu lieben, doch das Bett war so alt und die Sprungfedern quietschten so laut, dass sie beschlossen zu warten, entweder bis alle anderen im Bett lagen und schliefen, oder bis ihnen eine brillante Idee kam, wie sie miteinander schlafen könnten, ohne am nächsten Morgen beim Frühstück seltsame Blicke zu ernten.
»Hast du denn schon einen Plan?«, fragte sie noch einmal.
»Ich könnte die Sprungfedern ölen«, sagte Samuel.
»Das hab ich nicht gemeint.«
»Das weiß ich.«
»Wir müssen doch irgendwo wohnen.«
»Ich weiß.«
Eine Zeit lang war nur noch sein Atem zu hören, stark, tief und regelmäßig. »Willadee?«, fragte er dann. »Wie wär’s mit dem Fußboden? Wärst du beleidigt, wenn wir’s einfach auf dem Fußboden machen?«
»Wär’ ich nicht, aber hören werden die anderen uns trotzdem.«
»Wir könnten ja ganz leise sein.«
» Du vielleicht.«
Er lachte, konnte es sich nicht verkneifen. Sie brachte ihn mit einem Kuss zum Schweigen. »Eigentlich sollte ich doch Angst haben, Willadee«, sagte er nach einer Weile. »Ich meine, ich sitze hier mit Frau und Kindern, aber ohne Job und ohne Haus, und weißt du was, Willadee?«
»Was denn, Samuel?«
»Ich hab echt Angst.«
Es gefiel ihr gar nicht, dass er Angst hatte und sich verletzt fühlte. Das war das Schlimmste an der ganzen Sache, dass er sich verletzt fühlte. Ausgerechnet Samuel.
»Diese verdammten Sprungfedern«, sagte sie.
»Wie bitte?«
»Ich hab gesagt, diese verdammten Sprungfedern.«
Willadee trat die Decken zur Seite und richtete sich im Bett auf, zog ihre Beine unter sich und kniete sich neben ihren Mann. Dann beugte sie sich über ihn, küsste seinen Hals, seine Brust und seinen Bauch und verwöhnte ihn mit ihren Händen. Die Bettfedern quietschten unanständig, als er seinen Körper gegen sie drückte.
Er stieß ein leises Stöhnen aus, das jedoch nicht ganz so leise ausfiel, wie er es beabsichtigt hatte, und sagte: »Um Himmels willen, Willadee.« Und dann: »Willadee, ich brauche dich so sehr.«
Ihr Mund bewegte sich an seiner Haut und redete und redete.
»Das ist gut, mein kleiner Prediger. Denn wenn du es nicht tätest, hättest du keine Chance, das alles zu überleben , was ich jetzt mit dir anstellen werde.«
Auf der Veranda trank Bernice Moses auf der Hollywoodschaukel ein Glas Eistee mit viel Zitrone. Sie lauschte auf die Geräusche, die aus dem Schlafzimmer in der ersten Etage drangen, das sich zufällig genau über ihr befand. Sie lauschte angespannt. Lauschte, ohne dabei zu lächeln. Bernice hatte in ihrem Leben fast alles bekommen, was sie sich gewünscht hatte, und nichts davon hatte sie glücklich gemacht. Nur eines, eines hatte sie nicht bekommen, und das wünschte sie sich brennend. Sie war überzeugt, wenn sie es bekommen könnte – nein, wenn sie es hätte –, dann wäre sie überglücklich. Endlich.
Sie wollte Samuel. Und Willadee war es, die ihr dabei im Weg stand. Bis heute Abend hatte es noch ein weiteres Hindernis gegeben, eine Distanz von etwa hundert Meilen, aber diese Meilen spielten jetzt endlich
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