Die Geschichte eines Sommers
ihn die Bar nicht störe. Warum sollte ihn auch eine Bar stören, wenn er nicht hineinging, und außerdem würde er bald schon irgendwo einen Job finden. Dann hätte er keine Zeit mehr, den ganzen Tag im Haus herumzuhängen und alles Mögliche zu kritisieren.
Was denn mit dem Predigen sei, fragte Calla. Sie kannte Samuel gut genug, um zu wissen, dass er nicht glücklich war, wenn er nicht predigen konnte. Und sie hatte genügend Lebenserfahrung, um Folgendes zu wissen: Wenn eine Person im Haushalt für längere Zeit sehr unglücklich ist, dann breitet sich dieser Zustand ganz automatisch aus wie die Pocken.
»Darüber haben wir auch schon nachgedacht«, erklärte Samuel ihr. »Ich werde an den Wochenenden als Aushilfsprediger arbeiten.«
»Wozu braucht man denn Aushilfsprediger, um alles in der Welt?«, säuselte Bernice am Küchentisch. Es war das typische Säuseln einer Südstaatenschönheit – zum Dahinschmelzen. Sie trug einen eleganten weißen Satinmorgenmantel, der offensichtlich die gleiche Wirkung erzielen sollte wie das Säuseln. Ihre Haare fielen frisch gebürstet über ihre Schultern und glänzten – höchstwahrscheinlich von dem Saft der Zitronen letzte Nacht. Sie sah aus, als wäre sie einem Katalog des Versandhauses Sears and Roebuck entsprungen.
Willadee sah Bernice an und erklärte ihr geduldig, dass sich ein Pfarrer manchmal freinehmen müsse, um zum Beispiel ein paar Tage mit der Familie wegzufahren, wenn eine Notsituation oder was auch immer anlag. Jemand wie Samuel, der eine Predigerlizenz, aber keine Gemeinde hätte, könne dann einspringen und in Vertretung für einen abwesenden Pfarrer Gottesdienste abhalten, das wäre sehr hilfreich und ein Segen für alle Betroffenen. »Viele Kirchen brauchen Aushilfspfarrer«, schloss Willadee mit fröhlicher Stimme.
Calla nippte nachdenklich an ihrem Kaffee, bevor sie traurig den Kopf schüttelte.
»Wenn die Samuel kriegen, werden sie ganz schön was zu knabbern haben«, sagte sie.
Swan hatte es furchtbar eilig, nach dem Frühstück wieder in ihr Zimmer zu kommen. Sie machte sich Sorgen, dass Blade Ballenger Angst kriegen könnte, wenn er allein in einer fremden Umgebung aufwachte. Oder dass er jeden Moment die Treppe heruntergepurzelt käme, denn dann wüssten alle, dass sie ihn versteckt hatte. Doch viel stärker als ihre Sorge waren die anderen Dinge, die ihr durch den Kopf gingen. Ausgerechnet bei ihr hatte Blade Ballenger Zuflucht gesucht. Und hatte sie sich nicht sehnsüchtig jemanden gewünscht, mit dem sie sich anfreunden könnte? Urplötzlich schienen all ihre Wünsche in Erfüllung zu gehen.
Als sie gerade aus der Küche stürmen wollte, schnappte Samuel sie sich und bugsierte sie, gefolgt von Willadee und den beiden Jungen, ins Wohnzimmer. Die Tür wurde geschlossen, und alle setzten sich im Kreis. Sie boten einen Anblick wie aus dem Ideals Magazine .
»Unser Leben wird sich bald in vielerlei Hinsicht ändern«, erklärte Samuel ihnen. »Aber wir dürfen uns davon nicht unterkriegen lassen. Trotzdem braucht ihr euch keine Sorgen zu machen oder Angst zu haben. Was auch immer geschieht, geschieht nur zu unserem Besten, denn Gottes Absichten sind stets gut.«
»Heißt das auch, dass ich jetzt Bluejeans tragen darf?«, wollte Swan wissen. »Ich meine, das wär’ nämlich wirklich gut. Wo wir doch jetzt auf einer Farm leben und überhaupt.« Seit gestern trug sie wieder Kleider. Natürlich. Wenn Samuel von einer Versammlung zurückkam, hielten sich die Kinder sofort wieder an alle Regeln, die sie während seiner Abwesenheit nicht beachten mussten.
»Du weißt doch, dass das nicht geht, Swan«, sagte Willadee. Swan funkelte sie empört an, aber Willadee blickte gleichmütig zurück. Wenn sie wollte, konnte sie richtig unschuldig aussehen.
»Aber jetzt beobachtet doch keine Gemeinde mehr jeden Schritt, den wir tun.«
»Wir richten unser Leben aber nicht danach aus, was andere Leute denken«, sagte Samuel. »Wir versuchen nach der Bibel zu leben.«
Swan wandte noch zu Recht ein, dass in der Bibel kein einziges Wort darüber stand, wie ein Kind sich anziehen sollte, um auf einer Kuhweide zu spielen, doch Samuel hatte bereits das Thema gewechselt. Sie würden nicht viel Geld haben – nicht dass sie jemals viel Geld gehabt hätten –, doch von nun an würde ihr Einkommen ungewiss sein, deshalb würden sie alle Opfer bringen müssen. Und er hoffe sehr, dass alle das verstehen und ihren Beitrag leisten würden, ohne sich zu beklagen.
Swan
Weitere Kostenlose Bücher