Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geschichte eines Sommers

Die Geschichte eines Sommers

Titel: Die Geschichte eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wingfield Jenny
Vom Netzwerk:
kleine Junge saß jetzt auf der Matratze, mit dem Rücken gegen das Kopfteil gelehnt. Seine Beine hatte er wie Stöcke vor sich ausgestreckt. Swan lag am anderen Ende des Bettes, hatte einen Ellbogen aufgestützt und fragte sich, wie diese Geschichte wohl ausgehen mochte.
    »Okay«, sagte sie. »Jetzt bist du also hier, aber was mach ich bloß mit dir?«
    Die schwarzen Augen blickten sie starr an, ohne zu blinzeln.
    »Wie heißt du?«, fragte sie.
    »Blade.«
    »Das ist doch kein Name.«
    Er nickte. So hieß er halt.
    Swan sprach den Namen mehrmals laut aus, um ein Gefühl dafür zu bekommen. »Blade Ballenger. Blade Bal-len-ger. Dein Name ist genauso schlimm wie meiner.«
    Nach einem so eindeutigen Wink hätten die meisten gefragt, wie sie denn heiße, aber da Blade das nicht tat, rückte sie freiwillig mit ihrem Namen heraus.
    »Swan Lake. Und wenn du lachst, knall ich dir eine.«
    Aber er lachte nicht. Er tat überhaupt nichts. Swan setzte sich auf, hopste ein bisschen im Bett herum und überlegte, was sie ihm noch erzählen könnte. »Hier wohne ich«, sagte sie schließlich. »Jedenfalls diese Woche noch. Die Frau, die du vorhin gesehen hast, da draußen auf der Veranda, mach dir wegen ihr keine Sorgen, sie ist nicht verrückt oder so. Ich glaube, sie ist nur sauer, weil ihr Mann nachts arbeitet.«
    Immer noch nichts.
    »Wieso bist du mir nach Hause gefolgt?«
    Er hob die Schultern und ließ sie wieder sinken.
    »Dir ist doch wohl klar, dass du wieder zurückgehen musst.«
    Im Nu schlüpfte er unter die Bettdecke und zog sich das Laken wie eine Art Rüstung bis zum Kinn hoch.
    »Ich hab ja nicht gemeint, dass das jetzt sofort sein muss«, sagte sie. »Irgendwann eben.«
    Langsam rutschte er mit dem Kopf zurück auf das Kissen und schloss die Augen. Swan beobachtete ihn eine ganze Weile. Er musste furchtbar müde sein. Seine kleinen Hände lockerten den Griff, mit dem sie die Bettdecke umklammert hielten, und nach und nach schien sich sein Körper zu entspannen. Doch Blade Ballenger wagte es mit seinen gerade mal acht Jahren nicht, einfach in den Schlaf zu gleiten.
    Swan spürte, wie sich ein Klumpen in ihrer Kehle bildete, was sie sich nicht erklären konnte. Langsam und vorsichtig stand sie im Bett auf, ohne auch nur kurz den Blick vom Gesicht des Jungen abzuwenden. Von der nackten Glühbirne über ihr hing eine verknotete Schnur herab. Swan zog an ihr, und es wurde dunkel im Zimmer. Eine Minute lang stand sie einfach nur da. Jahre später würde sie sich an diesen Moment als den Zeitpunkt erinnern, an dem sich ihre Welt verändert hatte, ohne dass sie etwas davon merkte. Von nun an würde sie die Dinge, die sie tat, aus einer anderen Perspektive sehen. Doch darüber dachte sie in diesem Augenblick noch nicht nach. Nicht im Traum wäre ihr eingefallen, dass Blade Ballenger etwas in ihr verändert hatte, doch das hatte er. Und er würde noch mehr verändern. Stattdessen dachte sie darüber nach, dass ihr Vater gerade keine Gemeinde hatte, sie streng genommen also nicht mehr die Tochter eines Predigers war und jetzt normal sein könnte. Nichts würde sie davon abhalten.
    Durch das offene Fenster konnte sie die Musik aus dem »Never Closes« hören. Irgendein Countrysong: »Gonna live fast, love hard, die young – and leave a beautiful memory …« Warum, in aller Welt, schrieb jemand so ein Lied, wenn doch niemand, absolut niemand jung sterben wollte?
    Swan legte sich vorsichtig ins Bett, tastete kurz um sich und kroch unter die Decke. Blade regte sich, lag dann aber wieder ruhig da. Etwas später, kurz bevor Swan einschlief, hörte sie ihn schlaftrunken murmeln: »Swan Lake, was für ein bescheuerter Name.«
    In den frühen Morgenstunden, noch vor dem Morgengrauen, hatten Willadee und Samuel tatsächlich einen Plan geschmiedet, den Samuel beim Frühstück verkündete.
    »Wir würden gern eine Weile hierbleiben, bis wir eine andere Möglichkeit gefunden haben – wenn das in Ordnung ist.«
    Noble und Bienville schienen das ziemlich in Ordnung zu finden, denn beide stimmten sofort ein Kriegsgeheul an. Swan fand es ebenfalls in Ordnung, blieb aber ruhig. Man schrie nicht, wenn man Essen vom Tisch stibitzte, um es einem Flüchtling im ersten Stock zu bringen, und hoffte, niemand würde einen bemerken.
    Calla sagte, für sie sei das absolut in Ordnung, sie wolle es gar nicht anders haben. Sie hoffe nur, es würde Samuel nichts ausmachen, in einem Haus zu wohnen, zu dem eine Bar gehörte. Samuel versicherte ihr, dass

Weitere Kostenlose Bücher