Die Geschichte eines Sommers
Blumen, die er im Arm hielt, und auf die Blumen, die bereits auf dem Boden verstreut lagen. »Ich wollte selbst welche pflücken, um sie auf den kleinen Tisch im Wohnzimmer zu stellen. Du hast offenbar meine Gedanken gelesen.«
Das war ungefähr so weit von der Wahrheit entfernt, wie es sich eine Moses gerade noch erlauben konnte. Eigentlich war Calla nämlich hier, weil sie durch die Ladentür gesehen hatte, was Blade tat, und fast einen Herzinfarkt bekommen hatte, was man ihr jetzt allerdings nicht mehr anmerkte. Sie hatte sich rasch wieder beruhigt und sich entschlossen, Blade nicht in Stücke zu reißen. Jetzt sah sie absolut friedlich aus. Selbst ihre Halsadern traten nicht mehr hervor.
Blade war sprachlos. Vor zwei Sekunden hatte er noch geglaubt, sein letztes Stündlein habe geschlagen, und nun erklärte sie ihm, er habe genau das Richtige getan. Die Welt wurde immer seltsamer.
»Ich hab sie für den Mann gepflückt«, sagte er leise und deutete mit dem Kopf auf das Haus. »Den Onkel .«
Calla legte den Kopf in den Nacken und sog Luft durch die Nase ein, wie wenn man plötzlich einen Kloß im Hals spürt und keinen Ton herausbekommt. Wann hatte jemand zum letzten Mal etwas Besonderes für Toy getan? Der Gedanke schnürte ihr den Hals zu. Wann hatte jemand zum letzten Mal etwas völlig Verrücktes und Schönes getan, um ihrem Sohn eine Freude zu bereiten? Sie hatte keine Ahnung, dass auch Swan gerade etwas Ähnliches tat oder dass Toys Leben gerade dabei war, sich auf eine Weise zu verändern, wie er sich das nie hätte vorstellen können, alles, was sie wusste, war, dass dieser kleine Junge etwas Nettes für ihren eigenen kleinen Jungen tat – für den Mann, der mal ihr kleiner Junge gewesen war. Ihre Dankbarkeit kannte keine Grenzen. Sie lächelte Blade Ballenger an, und ihr Mund zitterte ein wenig.
»Hast du gewusst, dass Blumen besser blühen, wenn man sie pflückt?«, fragte sie nach einer Weile.
Er schüttelte ernst den Kopf.
»Das tun sie aber. Es ist so, als hätte man ihnen ein Kompliment gemacht, und plötzlich strengen sie sich ganz stark an, um noch eins zu bekommen.«
»Wissen Sie alles über Blumen?«, fragte er, in diesem Moment genau die richtige Frage für diese Frau.
»Nein, Sir, das weiß ich nicht«, erklärte sie forsch, »aber ich möchte wetten, wenn du groß bist, weißt du ganz genau, wie man sich bei einer Frau beliebt macht.«
Als Toy, fertig angezogen zur Arbeit, aus seinem Schlafzimmer kam, standen seine Schuhe vor der Tür und glänzten – ganz, wie Swan vorhergesagt hatte – wie nagelneue Münzen. An der Wand entlang standen riesige Blumensträuße in diversen Gefäßen – von Callas bester Vase über Schraubgläser bis hin zu kleinen Marmeladengläsern war alles vertreten. Lauter taufrische Blumen. Toy neigte blinzelnd den Kopf zur Seite und fragte sich, ob die Person, die dafür verantwortlich war, noch am Leben war, und wenn nicht, ob seine Mutter die Leiche versteckt oder sie den Sheriff angerufen und sich gestellt hatte.
Beim Abendessen schenkte Swan Toy ständig Eistee nach, und Blade reichte ihm jedes Mal ungefragt die Butter, wenn er sich ein weiteres Stück Maisbrot nahm. Alle in der Familie lächelten Toy an, als würden sie ein Geheimnis kennen und könnten es kaum noch für sich behalten. Nur Bernice bildete wie gewöhnlich die Ausnahme.
Schließlich sagte Toy: »Ich möchte mich bei demjenigen bedanken, der heute Nachmittag meine Quadratlatschen entsorgt und mir stattdessen ein nagelneues Paar hingestellt hat.«
Swan konnte nicht mehr an sich halten.
»Das sind keine neuen Quadratlatschen!«, rief sie glucksend. »Die sehen nur neu aus, weil ich sie geputzt hab.«
Er sah sie ungläubig an.
»Was du nicht sagst. Und ich hätte schwören können, dass sie funkelnagelneu sind. Sie fühlen sich sogar neu an.«
Swan lachte aus vollem Halse. Neben ihr rutschte Blade aufgeregt hin und her, weil er sich fragte, ob sein Geschenk auch gewürdigt werden würde. Er brauchte nicht lange zu warten.
»Und wer auch immer mir die Blumen gebracht hat, der sollte sich jetzt mal ordentlich umarmen lassen«, sagte Toy und sah Swan wieder erwartungsvoll an. Umso überraschter war er, als Blade sich von seinem Stuhl erhob und sich zu ihm schlich. Der Junge blieb abwartend und schweigend vor ihm stehen, während die ganze Familie zusah. Toy starrte ihn an.
»Du hast das für mich getan?«
Blade nickte schüchtern und wartete noch immer ab. Toy schob seinen Stuhl ein
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