Die Geschichte eines Sommers
fragte Samuel. Er kam gerade mit Lady zurück. Swan blickte auf und lächelte stolz.
»Ich habe ihm nur erzählt, was ihn erwartet, wenn wir wieder eine Kirche und ein Pfarrhaus bekommen.«
Samuel gab Noble die Zügel von Lady und setzte sich zu Swan und Blade auf die Bank.
»Nun ja, wir wissen doch noch gar nicht so genau, wie das alles weitergeht«, erklärte er ihnen. »Und wir wollen auch keine Versprechen machen, die wir vielleicht nicht halten können.«
Blade hatte Samuel angesehen, fing jetzt aber wieder an zu zeichnen. Er bewegte die Hand langsam und mechanisch, als wollte er zeigen, dass er zumindest damit umzugehen wusste. Von dem, was Swan erzählt hatte, mochte er zwar nur die Hälfte verstanden haben, aber er verstand sehr genau, was ihr Vater meinte. Samuel sah den Schmerz in seinem Gesicht und bemerkte auch, wie gut es ihm bereits gelang, seinen Schmerz zu verbergen, und es war ihm unendlich zuwider, nicht das sagen zu können, was der kleine Junge hören wollte. Aber er konnte es nicht.
»Ich denke, wir sollten einfach die Zeit zusammen genießen und auf Gott vertrauen, dass alles letztendlich gut wird. Seine Art, die Dinge zu regeln, ist viel besser als alles, was wir uns vorstellen können.«
Blade sah Swan fragend an. Wie immer.
»Wer ist Gott?«, fragte er. Er flüsterte wieder.
»Gott ist irgendwie schwer zu erklären«, antwortete Swan, »aber mach dir keine Sorgen. Wenn du meinen Daddy lange genug um dich hast, wirst du alles erfahren, was man über Gott wissen muss.«
26
An jenem Nachmittag wachte Toy gegen vier Uhr auf. Nicht etwa, weil er ausgeschlafen hatte, sondern weil Swan nicht leise genug war, als sie seine Schuhe neben dem Bett stibitzte. Er öffnete die Augen und sah sie auf Zehenspitzen das Zimmer verlassen. Er hätte sie fragen können, was sie vorhatte, nahm aber an, er würde die Wahrheit schneller erfahren, wenn er einfach stumm abwartete.
Tatsächlich hatte Swan nur vor, Onkel Toys Schuhe zu putzen. Sie hatte noch nie einem Mann die Schuhe geputzt, sie putzte ja noch nicht einmal ihre eigenen. Da ihr Vater der Schuhputzexperte in der Familie Lake war, ging sie zu ihm, um ihn um Rat zu fragen. Samuel holte seine Schuhputzkiste hervor, erklärte die hohe Kunst des Schuheputzens und überließ dann Swan die Sache, denn ein Geschenk ist kein Geschenk, wenn der Schenkende jemand anderen die ganze Arbeit machen lässt.
»Diese Schuhe«, sagte Swan zu Blade, der ihr half, indem er ihr alles reichte, was sie brauchte, »werden glänzen wie nagelneue Münzen. Gib mir mal diese Bürste da.«
Er reichte ihr die Bürste. Sie bürstete emsig, um den Dreck zu lösen, dann blies sie die Backen auf und pustete den Dreck vom Leder.
»Onkel Toy wird ja so froh sein, dass er dich daran gehindert hat, aus dem Fenster zu springen«, sagte sie. »Wir müssen uns ganz viel ausdenken, um ihm zu zeigen, dass das das Beste war, was er je getan hat.«
Blade hörte zu und nickte.
»Mit Blumen zum Beispiel«, überlegte Swan laut. »Ich denke, wir sollten ihm welche pflücken. Wenn man für jemanden eine Blume pflückt, dann fühlt der sich als etwas ganz Besonderes.«
Blade nickte wieder und wirkte dabei ganz nachdenklich.
»Wir können ihm viele Gefallen tun«, sagte Swan. »Du weißt schon. Ihm Sachen holen, damit er nicht aufstehen muss. So was in der Art. Gib mir mal den Lappen da.«
Sie hielt Blade die Bürste hin, damit er sie ihr abnahm und ihr dafür das Poliertuch gab, doch ihr Assistent stand nicht mehr dort, wo sie ihn beim letzten Hingucken gesehen hatte.
Das Dahlienbeet hatte keine Chance. Die Begonien waren dem Tod geweiht, die Tage der Taglilien vorbei. Blade hatte gerade die Hälfte der Hortensien erledigt, als ein großer, leicht pummeliger Schatten auf ihn fiel. Er blickte auf, sah in das Gesicht von Calla Moses und schaute sich dann nach einem Fluchtweg um. Es schien keinen zu geben, es sei denn, er würde durch die Rugosa-Rosen laufen, was selbst für ihn unmöglich war. Blade hatte zwar noch nie den Ausdruck »undurchdringliche Hecke« gehört, doch er erkannte eine, wenn er eine sah.
Calla hielt einen Eimer in der Hand, und Blade rechnete schon fast damit, dass sie ihn gegen seinen Kopf schlagen würde, doch stattdessen reichte sie ihm den Eimer. Er nahm ihn ganz automatisch. Er war schwerer als erwartet, weil er halb voll Wasser war.
»Wenn du etwas suchst, wo du die Blumen reintun kannst«, sagte sie, »kannst du den benutzen.« Sie deutete auf die vielen
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