Die Geschichte von Liebe und Sex
Liebe – jener, die dir Sicherheit gibt und jener, die deiner Sehnsucht nach wilder Leidenschaft entspricht. Das gilt für Frauen wie Männer, nicht nur für Männer. In unserer Tradition wird die erste Form von Liebe als erste Ehe zwischen einem Mann und einer Frau geschlossen, manchmal bereits bei der Geburt eines Mädchens und eines Jungen von den jeweiligen Eltern sorgfältig geplant und vorbereitet. Sie bietet vor allem den Kindern die nötige Sicherheit zum Aufwachsen.
Dann gibt es auch die Möglichkeit, weitere Ehen aus Leidenschaft zu schließen. Sie können, müssen aber nicht von Dauer sein. So haben die meisten unserer Männer zwischen zwei und vier Frauen, die zur Familie gehören, jedoch nur die erste sollte für immer sein. Wenn eine Frau einen Mann verlassen will, weil sie ihn nicht mehr mag oder eine neue Liebe gefunden hat, dann kann sie das tun, muss jedoch gemeinsam gezeugte Kinder in der Familie des Vaters zurücklassen. Die erste Frau hat deshalb auch mehr Rechte als die anderen Frauen über wichtige Entscheidungen, die die Familie betreffen. Ihre Hütte ist direkt neben der des Mannes. Die anderen müssen mit ihren Hütten mehr Abstand halten.
Junge Mädchen können bei uns Erfahrungen mit Jungen sammeln, sobald sie es möchten. Und umgekehrt natürlich auch. Unsere Eltern bringen uns bei, wie wir darauf achten, nur dann Kinder zu bekommen, wenn wir so weit sind. Das ist am besten, wenn man einen Mann gefunden hat, der schön und gut ist, mit dem man lange zusammenbleiben möchte. Wir haben das Recht, einen Jungen oder Mann abzuweisen, der uns nicht gefällt. Und einen Schleier? Nein, einen Schleier tragen wir nicht, weder die Mädchen noch die Frauen.
Aber das Schönste für uns alle – alle Mädchen und Jungen, alle Frauen und Männer – ist das Geerewol-Festival einmal im Jahr, in der Regel zum Ende der Regenzeit. Beim Geerewol geht es um pure Schönheit. Es ist ein Schönheitswettbewerb, der sieben Tage dauert und wo es nur um eines geht: Den schönsten Mann des Jahres zu wählen und zu ehren.«
Julama berichtet, dass sie beim letzten Geerewol-Festival eine der drei jungen Frauen war, die die Jury bildeten. Hunderte von Familien, die sonst eher in kleinen Gruppen mit ihren Herden umherziehen, waren zu diesem besonderen Fest, dem Höhepunkt des Jahres, gekommen. Jeder größere Clan konnte seine schönsten jungen Männer nominieren. Als Kriterien gelten hoch gewachsene, schlanke |54| und muskulöse Körper, strahlend weiße und gerade Zähne, ein fantasievolles Make-Up (das oft in stundenlanger Arbeit angebracht wird), hübsche Kleidung, Ketten und Ringe und am wichtigsten: Die Fähigkeit, ein guter und ausdauernder Tänzer zu sein. Mehrere Nächte hintereinander wird getanzt, während die anderen zuschauen, Kommentare rufen oder auch im Publikum untereinander flirten. Alkohol und Tabak lehnen die Wodaabe ab. »Das brauchen wir nicht!«, sagt Jirma. »Die Stimmung beim Geerewol ist ausgelassen genug – die Freude über die Regenzeit, die Aufregung über all die schön zurechtgemachten Männer und die Frauen, die sie bewundern.«
Das Flirten geschieht weniger durch Worte als durch eine Vielzahl von unauffälligen Gesten. Möchten zwei unverheiratete junge Leute, die noch keine eigene Hütte haben, miteinander Sex haben, so kann eine der Gesten sein, die Hand des erwählten Partners oder der Partnerin zu nehmen und mit dem Zeigefinger über die Handinnenfläche zu streichen. Bei gegenseitiger Zustimmung ziehen sich beide ohne viel Aufsehen an den Rand des Lagers hinter einen der Büsche zurück.
Wenn sich Wodaabe untereinander oder von Fremden verabschieden, sagen sie mehrfach das Wort »Baraka!«. Jirma erklärt, dass es schwer zu übersetzen ist, aber ungefähr so viel bedeutet wie: »Sei beschützt, sei gesegnet!« Sich selbst begreifen die Wodaabe als gesegnetes Volk. »Solange wir so leben können, wie wir wollen, sind wir gesegnet, und es wird uns nichts geschehen. Wir sind zuerst Hirten und Tänzer. Unsere Freude am Leben, so hart es auch sein mag, tanzt noch immer frei durch die Wüste.«
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Der Bericht von Julama und Jirma basiert auf verschiedenen wissenschaftlichen Interviews und Artikeln wie zum Beispiel von der isländischen Ethnologin Kristin Loftsdottir ( Journal of Political Ethnology, 8/2001) oder Reiseberichten wie zum Beispiel von der neuseeländischen Autorin und Fotografin Amanda Jones, die heute in den USA lebt ( The Sunday Times, London
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