Die Geschichte von Liebe und Sex
nachweisen, dass die Entwicklung des modernen Menschen tatsächlich vor rund 200 000 Jahren in Ostafrika begonnen hatte. Damals starben dort durch Klimaveränderungen die großen Wälder ab, die Urmenschen verließen die Bäume und mussten sich mehr und mehr aufrecht gehend und Ausschau haltend in der Steppe als Jäger behaupten.
Es dauerte noch einmal gut 100 000 Jahre, bis der moderne Mensch von Afrika aus in die weite Welt aufbrach. In dieser Zeitspanne entstanden in Afrika viele verschiedene Familien, Sippen, Clans, Ethnien und Völker, lange bevor es entsprechende Differenzierungen des modernen Menschen in anderen Teilen der Welt gab. Deshalb ist Afrika bis heute derjenige Kontinent mit der größten kulturellen und genetischen Vielfalt. Seine heute 850 Millionen Bewohner sprechen allein rund 1 000 Sprachen. Was viele Europäer zu Zeiten der Kolonisierung des Kontinents verächtlich als »Stammes-Chaos« oder »Sprachengewirr« abtaten und später in gut 50 Staaten pressten, stellt de facto jenen Genpool dar, aus dem sich die modernen Menschen in anderen Erdteilen erst wesentlich später zu entwickeln begannen.
Vor 100 000 Jahren verließ eine kleine Gruppe von wahrscheinlich nicht mehr als ein paar 100 Menschen den afrikanischen Kontinent. Über die einzige Landverbindung – die Sinai-Halbinsel – wanderten sie in Richtung des heutigen Palästina und Israel. Über die Gründe kann man nur Vermutungen anstellen: Vielleicht war es Hunger, vielleicht klimatische Veränderungen, vielleicht aber auch einfach Neugierde, die diese erste Gruppe lockte, ihre Heimat zu verlassen und Neues zu erkunden.
Inzwischen haben übrigens auch archäologische Funde bestätigt, dass sich diese ersten afrikanischen Auswanderer relativ lange im Nahen Osten aufhielten, bevor ihre Nachkommen weiter nach Asien zogen. Vor zirka 70 000 Jahren erreichten die ersten modernen Menschen China, vor 50 000 Jahren kamen sie über Indonesien nach Australien. Wegen des kalten Klimas im Norden kam die Völkerwanderungen spät in Europa und |50| Nordasien an: Erst vor zirka 40 000 Jahren lassen sich moderne Menschen in Europa nachweisen und vor gut 25 000 Jahren in Sibirien und anderen Teilen Russlands und Nordasiens. Über die Behringstraße, die damals noch eine Landverbindung zwischen Amerika und Asien war, erreichten vor gut 14 000 Jahren die ersten modernen Menschen zuerst Nordamerika und knapp 1 000 Jahre später auch Mittel- und Südamerika.
Auf allen Kontinenten lebt der moderne Mensch zunächst als Jäger und Sammler. Männer und Frauen sind noch nicht sesshaft, sondern ziehen je nach Jahreszeiten und Nahrungsvorkommen als Nomaden frei umher. Nicht das Anhäufen von Besitz ist bedeutsam, sondern Mobilität, das Sich-anpassen-Können durch Bewegung. Frauen sind nur in den letzten Wochen der Schwangerschaft auf Unterstützung durch andere angewiesen. Diese Unterstützung können Männer, aber auch andere Frauen gewähren. Es gibt wenig, wodurch ein Mann eine Frau abhängig machen oder gar beherrschen kann. Sobald ein Kind geboren ist, kann die Mutter im Prinzip allein für es sorgen, auch wenn es gut ist, den Schutz einer Familie oder Gruppe zu haben.
Heute gibt es nur noch in wenigen Teilen der Welt frei umherziehende Nomadenvölker. Alle sind durch eine zunehmende Einengung ihrer Lebensräume bedroht. Moderne Staaten, egal auf welchem Kontinent, haben zumeist wenig Interesse, einen Lebensstil zu achten, der sich schwer kontrollieren lässt. Nomaden zahlen in der Regel keine Steuern und weigern sich, ihre Kinder in Schulen zu schicken, weil sie das an einen bestimmten Ort binden und die Kinder den eigenen Traditionen entfremden würde.
Die meisten Nomadenvölker haben ein eher egalitäres Gesellschaftssystem, in dem Frauen und Männer oft gleichberechtigter miteinander umgehen als bei den sesshaften Völkern in ihrer Umgebung. Was nicht bedeutet, dass sie weniger Konflikte untereinander haben, ganz zu schweigen von den Konflikten mit den Nachbarvölkern oder den Regierungen der Länder, durch die sie ziehen. Einige, wie die nordafrikanischen Tuareg, haben zu kämpfen gelernt, andere beharren eher auf friedlichen Strategien und verachten Streit und Kriege, wie die nordwestafrikanischen Wodaabe.
Es lohnt sich noch aus anderen Gründen, das Volk der Wodaabe näher kennenzulernen.
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Siehe Brian Sykes: The Seven Daughters of Eve , London 2001, und Stephen Oppenheimer, Out of Eden , London 2003.
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|51| Nomaden-Liebe
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