Die Geschichte von Liebe und Sex
der indischen Provinz Madras erst 1947 verboten.
Eine weitere indische Besonderheit: Obwohl Homosexualität heute gesetzlich verboten ist und homosexuelle Frauen und Männer in vielerlei Hinsicht diskriminiert werden, gibt es eine Gruppe von männlichen Transsexuellen, die sich als Frauen in Männerkörpern begreifen und sich Hijras nennen. Sie haben es geschafft, eine eigene gesellschaftliche Rolle zu erringen. Bis heute sind sie nicht aus dem Straßenbild vieler großer Städte wegzudenken. Auch wenn sie ausgegrenzt sind und nicht selten, selbst unter Duldung der Polizei, geschlagen und misshandelt werden, gelten sie in einigen indischen Traditionen als Glücksbringer. Von manchen |75| Familien werden sie zu besonderen Anlässen als Sängerinnen und Tänzerinnen geschätzt, so zum Beispiel bei der Geburt eines Sohnes oder bei Hochzeiten. Viele Hijras haben trotzdem oft wenig Alternativen, als sich ihren Lebensunterhalt als Prostituierte zu verdienen.
Dass sexuelle Vielfalt in Indien verächtlich gemacht wird ist eine neue Erscheinung. In den keuschen Liebesfilmen der indischen Filmindustrie »Bollywood« werden selbst Küsse oft umgehend mit Blumenbildern oder Tanzszenen überblendet. Doch das war längst nicht immer so. Bereits vor 3 000 Jahren entstanden erotische Liebesgedichte, die um 250 n. Chr. von dem Hindugelehrten Vatsyayana unter dem Titel Kamasutra ( Liebesverse ) zusammengefasst und in sieben Büchern veröffentlicht wurden.
Kamasutra: Eine Ratgeber für junge Liebende (um 250 n. Chr.)
Das Kamasutra nennt drei zentrale Ziele im Leben eines Menschen, die ihn dem ewigen Leben näher bringen. Diese Ziele sind erstens »Dharma«, die Pflicht, seine Arbeit so gut wie möglich auszuführen, zweitens »Artha«, Wohlstand anzustreben, um Not abzuwenden, und drittens »Kama«, die Liebe, die alle positiven Sinnesfreuden einschließt und weit mehr als nur Sex meint.
So geht es auch nur im zweiten der sieben Bücher der »Liebesverse« um Liebe und Sex im engeren Sinne. Die anderen Bücher behandeln eher philosophisch das Zusammenspiel von Dharma, Artha und Kama sowie die Konflikte, die sich daraus ergeben können, zum Beispiel bei Ehebruch oder beim Besuch eines Bordells. Umso deutlicher werden dann jedoch im zweiten Buch sexuelle Techniken beschrieben und unter anderem genaue Empfehlungen ausgesprochen, welche Art von Küssen wie wirken und welche männlichen Glieder (Linga) von Größe und Form her am besten zu welchen weiblichen Scheiden (Yoni) passen und umgekehrt.
Das Fazit ist dagegen nicht nur beruhigend für die, die nach jenen Übersichten eventuell nicht zusammenpassen, sondern auch in anderem Sinne höchst respektvoll: »Der beste Weg für ein Paar, sexuelles Glück zu erreichen, besteht darin, dass der Mann darauf achtet, seine Partnerin vor ihm selbst zu befriedigen.« Und: »Diejenigen, die wahre Liebe zueinander fühlen, benötigen keine speziellen Regeln.«
|76| Unter den verschiedenen Schulen des Hinduismus und Buddhismus ist der Tantraismus (eine Lehre, die besonders von Magie und Mystik inspiriert ist) die am deutlichsten sexuell orientierte. Er vertritt die Überzeugung, dass alles Leben aus sexueller Energie entstanden ist und eine Unterdrückung sexueller Bedürfnisse nur zu körperlichen wie seelischen Schäden führen kann, schlimmer noch: dass so jede Form der Erleuchtung verhindert wird.
Ob es allerdings besser ist, die sexuelle Energie in wildem Sex frei strömen zu lassen oder lieber durch Meditation in geistige Energie umzuwandeln, wird je nach Schule unterschiedlich beantwortet. Übereinstimmend gilt: Jeder menschliche Körper hat weibliche und männliche Energien. Die weiblichen werden symbolisiert durch die Göttin Shakti, die hier die Form einer Kundalini-Schlange hat, die zusammengerollt am Ende des Rückgrats liegt. Für die männlichen Energien steht Gott Shiva, der seinen Sitz im Gehirn hat. Durch den sexuellen Akt – oder bei einigen Schulen auch durch Atmungsmeditation – kann die Schlange sich aufrichten und ins Gehirn aufsteigen, wodurch sich Gott und Göttin vereinigen und Erleuchtung ermöglichen.
Im Westen wurden tantrische Meditationstechniken vor allem in den 1970er- und 80er-Jahren durch Bhagwan Shree Rajneesh (1931 – 90) bekannt, der sich später Osho (im Zen-Buddhismus für: Erleuchteter Meister) nannte und im indischen Poona und zwischendurch auch in den USA Tausende Anhänger (Sannyasins) vor allem wegen seiner philosophischen Erklärungen zu freier
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