Die Geschichte von Liebe und Sex
Liebe fand. Seine hierarchischen Praktiken innerhalb der eigenen Kommune dagegen wie seine persönlichen Darstellungsformen (so fuhr er gern in einem Konvoi von 20 neuen Mercedes-Limousinen vor) blieben umstritten. Einige seiner Anhänger führen seine Geschäfte heute unter dem Markenzeichen »Osho« fort.
Die heutige indische Gesellschaft lebt wie kaum eine andere im Konflikt zwischen jahrtausendealten Traditionen und liberalen Werten und Normen. Diese Widersprüche werden zuweilen mit extremer Gewalt ausgetragen, zuweilen aber auch mit wunderbarer Kreativität und Humor (nicht selten besonders krass in indischen Gemeinschaften im Ausland wie zum Beispiel Großbritannien, der ehemaligen Kolonialmacht bis 1947). Hierfür steht zum Beispiel die TV-Comedy »Kumars at No 42« über die |77| fiktive indische Familie Kumar, die es in das spießige Wimbledon verschlagen hat.
Die Geschichte des Taj Mahal, erzählt von den indischen Schwestern Lata, 14, und Indira, 16, die in London leben *
Lata berichtet zuerst: »Für mich ist der Taj Mahal, der ›Kronenpalast‹ im nordindischen Agra, der schönste Beweis ewiger Liebe, den ich mir nur vorstellen kann. Wir waren vor einem Jahr mit meinen Eltern dort, als wir unsere Familie in Delhi besuchten. Du musst dir mal vorstellen: Da hat ein Mann aus purer, aber tragischer Liebe für seine Frau diesen wunderschönen Palast gebaut, über 20 Jahre lang … und am Ende ließ er sich dort neben ihr beisetzen.
Natürlich hatte ich mich vorher gut informiert: Nach der Legende musste der indische Großmogul Shah Jahan fünf Jahre darum ringen, bis er seine zweite Frau, eine persische Prinzessin, heiraten durfte. Er nannte sie Mumtaz Mahal, Königin des Palastes. Sie waren glücklich miteinander, und Mumtaz gebar ihrem Mann viele Kinder. Während der Geburt des 14. Kindes jedoch starb sie plötzlich. Ihr Mann war darüber so erschüttert, dass sein Haar und Bart innerhalb weniger Tage schneeweiß wurden. Dann hatte er nur noch ein Ziel: Er wollte ihr den schönsten Palast als Grabstätte bauen, den die Menschheit je gesehen hat. Vom Todesjahr seiner Frau im Jahr 1631 bis zur Fertigstellung des Palastes um 1654 vergingen über zwei Jahrzehnte. Die besten Handwerker wurden aufgeboten, die teuersten Edelsteine in die Mauern des Mausoleums mit seinen 22 Kuppeln und den 40 Meter hohen Minaretten eingelassen und gut 20 000 Arbeiter und 1 000 Elefanten mussten vor Ort schuften. Der Garten um den Palast wurde als eine Vision des göttlichen Paradieses angelegt.
Doch damit nicht genug: Noch vor Vollendung des prächtigen Bauwerks wurde Shah Jahan von seinem eifersüchtigen Sohn, Prinz Aurangzeb, gestürzt und ins Gefängnis geworfen. Bis zu seinem Tod musste er von seinem Kerkerfenster auf den Palast schauen und an seine darin aufgebahrte geliebte Frau denken. Nach seinem Tod erlaubte sein Sohn, dass der Sarg von Shah Jahan neben dem seiner |78| Frau stehen durfte. Die Grabinschrift lautet: ›Die Welt ist eine Brücke. Überquere sie. Baue nicht auf ihr. Es währt nur einen Augenblick.‹ Ist das nicht eine tolle Liebesgeschichte?«
Dann kommt Indira zu Wort: »Das ist typisch Lata! Die ganze Welt ist ein Märchen. Sie fand sowieso einfach alles toll in Indien und schimpfte dauernd über unser Leben in London. Na klar, die Familie von Vater in Delhi steht ganz oben im System der vier Kasten, von den sogenannten Unberührbaren nicht zu sprechen. Die haben alles und können selbst leben wie ein Mogul oder Maharadscha: Riesenvilla, Hausangestellte, mehrere Autos, unser Onkel ist Boss einer bekannten Computerfirma. Nur diesen äußerlichen Kram hat sie gesehen.
Was es aber bedeutet, mit diesem ganzen Drama der Kasten aufzuwachsen, daran denkt sie nicht. Jeder dort war nur damit beschäftigt nachzuforschen, wie weit meine Eltern mit den Vorbereitungen meiner Hochzeit waren und ob mein künftiger Mann auch dem richtigen Stand entspricht. Selbst meine Eltern waren so eingeschüchtert, dass sie immer nur nickten, obwohl sie wissen, dass ich mir keinen Mann vorschreiben lassen will. Dass ich seit ein paar Wochen in einen englischen Jungen aus meiner Klasse verliebt bin, wissen sie zum Glück noch gar nicht …
Nun aber noch mal zu der romantischen Geschichte von Shah Jahan und seiner persischen Prinzessin: Das ist genau der Stoff, aus dem 90 Prozent unserer Bollywood-Schmachtfilme sind – Liebe, Drama, Tod, Gold und Edelsteine, viel Musik und Tamtam. Kein Wort über Hunger und Elend der meisten
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