Die Geschichte von Liebe und Sex
dass sich Ruedi Steinmüller, der ebenfalls zunehmend verdächtigt wurde, erhängt hat.
Am 17. Juni 1782 wird Anna Göldin im Alter von 45 Jahren durch Enthauptung hingerichtet.
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Da die Prozessunterlagen bereits kurz nach der Hinrichtung von Anna Göldin verschwanden, gibt es bis heute unterschiedliche Darstellungen ihres Falles. Eine literarische Verarbeitung auf der Basis historischer Dokumente hat Eveline Hasler, die ebenfalls in Glarus (Schweiz) geboren wurde, 1982 unter dem Titel Anna Göldin – Die letzte Hexe veröffentlicht.
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Ist es Liebe? Milchmann Tevje und Papst Benedikt
Fraglos gibt es auch zahllose Beispiele christlicher und jüdischer Nächstenliebe, und immer wieder waren es auch Christen und Juden in Vergangenheit und Gegenwart, die sich für mehr Menschlichkeit und ja, auch Liebe engagierten. Die Überwindung eines überwiegend negativen Verhältnisses zum menschlichen Körper und die Achtung einer eigenständigen weiblichen Sexualität sowie jener Formen von Sexualität, die nicht zuerst der Fortpflanzung dienen, steht gleichwohl noch bevor. Zwei Texte sollen Ansätze für Öffnungen gegenüber dem Neuen veranschaulichen:
Der jüdische Milchmann Tevje und seine Frau Golde, Russland 1905
In einer Erzählung des Dichters Sholem Alejchem (1859 – 1916) stellt der Milchmann Tevje aus dem kleinen russischen Dorf Anatevka seiner Frau Golde nach 25 Jahren Ehe zum ersten Mal die Frage: »Ist es Liebe?« Beide wurden als Jugendliche von ihren Eltern verheiratet, so wie es damals üblich war (und in manchen Kulturen noch heute ist), ohne nach ihren Gefühlen gefragt worden zu sein. Ausgelöst wird seine Frage durch ihre Tochter Hodel, die sich in einen jungen Revolutionär verliebt und ihm sogar bis nach Sibirien in die Verbannung folgen will – alles nur aus Liebe. Aus Alejchems Vorlage von 1905 entstand 1964 das US-amerikanische Musical Fiddler on the Roof , das unter dem Titel Anatevka auch in Deutschland bis heute immer wieder aufgeführt wird. Der folgende Dialog stammt aus der Musical-Fassung:
|95| »Tevje: Er ist ein guter Junge, Golde. Ich mag ihn. Er ist ein bisschen meschugge, aber ich mag ihn. Und was wichtiger ist: Unsere Tochter Hodel mag ihn. Hodel liebt ihn! Also was wollen wir machen? Wir leben in einer anderen Zeit, einer ganz anderen Zeit. Liebe! – Golde, liebst du mich? Was fühlst du eigentlich für mich, ha? Golde, ist es Liebe?
Golde: Ist es was?
Tevje: Ist es Liebe?
Golde: Ist es Liebe? – Bei fünf heiratsfähigen Töchtern fragt man doch nicht solchen Quatsch! Du bist krank! Geh ins Haus! Leg dich hin! Ruh dich aus! Mach schon, was ich dir sage!
Tevje: Golde, hör zu, was ich dich frage: Ist es Liebe?
Golde: Ach, lass das sein.
Tevje: Oh nein, sag! Ist es Liebe?
Golde: Ist es Liebe?
Tevje: Nun?
Golde: Seit 25 wasche ich, koche ich, putze ich, gab dir fünf Töchter, melk die Kuh. – Nach 25 Jahren lass mich damit in Ruh!
Tevje: Golde! Wir sahen uns zur Hochzeit das allererste Mal. Ich war scheu …
Golde: Und ich auch!
Tevje: … ich war ängstlich …
Golde: Und ich auch.
Tevje: Unsre Mütter, unsre Väter, sagten: Liebe kommt erst später! Sag, liebst du mich denn, Golde? Ist es Liebe?
Golde: Ach, sei jetzt still!
Tevje: Oh nein, sag: Ist es Liebe?
Golde: Ist es Liebe?
Tevje: Nun?
Golde: Seit 25 Jahren leb’ ich mit ihm, lach mit ihm, wein mit ihm. Seit 25 Jahren ist sein Bett mein … das muss ja Liebe sein!
Tevje: Oh Weib, du liebst mich!
Golde: Ich glaub, dass ich’s tu!
Tevje: Ich lieb dich Golde – immerzu!«
|96| Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Gott ist Liebe, Rom 2006
Ehe der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger (* 1927) im Jahr 2005 zum Papst gewählt wurde und sich Benedikt XVI. nannte, hatte er sich in Sachen Sexualmoral als Erzkonservativer einen Namen gemacht. Zum Beispiel hatte er jahrelang seinen Vorgänger Papst Johannes Paul II. im Verbot des Kondoms selbst bei der Verhütung von AIDS unterstützt. Dieses Verbot ist mitverantwortlich für weiter unnötig viele HIV-Infektionen sowie damit verbundenes Leid und Sterben vor allem in vielen armen Ländern. Anfang 2006 veröffentlichte er sein Lehrschreiben Deus caritas est – Gott ist Liebe. Darin erkennt er zum ersten Mal die traditionelle »Leibfeindlichkeit« des Christentums an und eröffnet damit Möglichkeiten zu einem neuen Dialog auch mit Kritikern der katholischen Sexuallehre:
»›Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in
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