Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
dahin blieb er Seth, ein unbedeutender Galeerensklave in der Dateneingabeabteilung, in seinen nerdigen Klamotten mit den braunen Cordhosen. Er baute darauf, dass ihm seine nächste Identität wenigstens bessere Hosen bescheren würde. Im Plebsland sollte ein Outfit auf ihn warten, gebunkert in einem Müllcontainer, der hoffentlich weder von Pennern, Verrückten noch entlassenen Filialleitern vorzeitig durchwühlt worden war.
Die Tarngeschichte für Seth war ein Serviceeinsatz in der örtlichen Filiale des AnuYu, eines Schönheits- und Stimmungsaufhellerkonzerns, der eine dubiose Tochtergesellschaft von HelthWyzer war. Gesundheit und Schönheit, die zwei verführerischen, am Nabel verbundenen Zwillinge mit ihrem ewigen Sirenengeheul. Beide wurden mit Nasenkorrekturen finanziert.
Die HelthWyzer-Produkte – die Vitaminzusätze, die OTC -Arzneimittel, die High-End-Pharmazeutika, Potenzpillen und so weiter – hatten wissenschaftliche Beipackzettel und lateinische Begriffe auf dem Etikett. AnuYu dagegen berief sich auf die dunklen Geheimnisse der Mondanbeter und das Wissen der im tiefsten raubwanzenverseuchten Regenwald ansässigen Schamanen. Aber dass es hier Überschneidungen gab, konnte Zeb nachvollziehen. Tut es weh, fühlst du dich krank und macht es dich hässlich, nimm dies von HelthWyzer; bist du hässlich, tut es weh und macht es dich krank, nimm das von AnuYu.
Zeb bereitete sich auf seine Mission vor, indem er in eine frisch gewaschene braune Cordhose schlüpfte. Er ordnete seine Mimik zu der seiner leicht chaotischen Seth-Figur um und zwinkerte sich im Badezimmerspiegel zu. »Du bist des Todes«, sagte er zu sich. Der Abschied von Seth, den ihm Adam im Zuge seines brüderlichen Besserwissertums auferlegt hatte, würde ihm absolut nicht leidtun. Er sehnte sich nach einem persönlichen Treffen mit Adam, und sei es, um ihm genau das aufs Brot zu schmieren. »Hast du irgendeine Ahnung, was ich durchmachen musste in diesen verfluchten Hosen?« – etwa so wären seine Worte.
Für Seth war es Zeit zu gehen. Mit seinem Passierschein schlenderte er in Richtung Haupteingang und summte dabei vor sich hin:
He ho, he ho
Ein neuer Griff ins Klo
Di dum di dum di dum di dum
Was reiß ich mich darum!
Jetzt nochmal eben die Tarngeschichte von Nachwuchs-Cyberklempner Seth vergegenwärtigen. Er hatte den Auftrag, die AnuYu-Website zu untersuchen und aufzuklären, wie sie manipuliert worden war. Irgendwer – vielleicht ein aufstrebender jugendlicher Hacker wie sein eigenes jüngeres Ich – hatte die Bilder manipuliert; wer auf die stimmungsaufhellenden, hautbildverbessernden Produkte klickte, sah, wie sich ein Trupp animierter orange-rotbrauner Insekten blitzschnell in die Bilder hineinfraß, um kurz darauf mit zuckenden Beinchen zu explodieren und gelbe Dampfschwaden auszustoßen. Es war albern, aber eindeutig.
Also hatte AnuYu um Hilfe gerufen. HelthWyzer wollte natürlich nicht, dass Seth das Problem systemintern anging: Das Ding sah zwar bescheuert aus, aber vielleicht war es auch eine Falle, und seine Planer hofften auf genau so eine Intervention, um die HelthWyzer-Firewalls zu durchbrechen und sich deren kostbare Daten unter den Nagel zu reißen. Daher musste jemand persönlich zu AnuYu: einer aus den unteren Etagen und einer – da das von Jugendgangs wimmelnde Plebsland ein gefährliches Pflaster war –, der verzichtbar war. Also Seth, wobei man ihm immerhin einen HelthWyzer-Wagen nebst Fahrer zur Verfügung stellte. Dass man es auf Seths Hirn abgesehen haben könnte, war unwahrscheinlich; er gehörte nicht zum inneren Zirkel. Aber dennoch.
Die AnuYu-Leute wollten gar nicht wissen, wer die Seite gehackt hatte oder warum: Das wäre ihnen zu teuer geworden. Sie wollten einfach nur ihre Firewall reparieren lassen. Den eigenen Leuten war es nicht gelungen, so die Tarngeschichte, was in Zebs Ohren nicht allzu überzeugend klang. Andererseits war AnuYu ein Billigunternehmen – die noble Spa-im-Park-Wellnessfarm war damals noch nicht gebaut –, also war die IT -Abteilung nicht gerade erste Sahne, vielleicht nicht mal zweite oder dritte Sahne: Die Superchecker wurden von den reicheren Konzernen immer vom Fleck weg angeworben. Genannte Abteilung ging eher in Richtung fünfte Sahne. Wie man ja sehen konnte.
Die würden lange warten, dachte Zeb, denn noch in derselben Stunde würde er sich in Hektor verwandeln, und Seth wäre nicht mehr existent. Er hatte den Läufer; die Schachfigur steckte in der Tasche
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