Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
die Spiegel; und als sie erkennen, dass sie es selbst sind, berühren sie ihr Haar, lächeln und bringen ihr Spiegelbild ebenfalls zum Lächeln. Sie setzen sich behutsam in den Schlafzimmern auf die Betten, stehen wieder auf. Im Fitnessraum springen die Kinder kichernd auf den Trampolinen herum. Sie schnuppern an der rosa Seife in den Waschräumen. Es ist immer noch jede Menge rosa Seife da.
»Sind wir im Ei?«, fragen sie. Zumindest die jüngeren fragen das. Sie haben eine vage Erinnerung an einen ähnlichen Ort, mit hohen Decken und glatten Fußböden. »Ist das das Ei, wo wir geschaffen wurden?« – »Nein, das Ei ist anders.« – »Das Ei ist weit weg. Es ist viel weiter weg als das hier.« – »In dem Ei ist Crake, in dem Ei ist Oryx. Sie sind nicht hier.« – »Können wir zum Ei gehen?« – »Wir wollen jetzt nicht zum Ei gehen, es ist dunkel.« – »Ist im Ei auch alles rosa, wie hier? Können wir das essen, was rosa ist und nach Blumen riecht?« – »Das ist keine Pflanze, das ist Seife. Wir essen keine Seife«, und so weiter.
Immerhin singen sie nicht, denkt Toby. Auch unterwegs haben sie kaum gesungen. Sie haben geguckt und gehorcht. Offenbar spüren sie die Gefahr.
Zum Glück ist das Dach noch nicht leck. Toby freut sich darüber: Das heißt, dass die Betten zwar etwas modrig, aber noch immer schlafbar sind. Als Gastgeberin, die sie ja in gewisser Weise ist, verteilt sie die Zimmer. Sie selbst sucht sich ein Doppelzimmer aus. Das Spa verfügt über drei solcher Zimmer für den unwahrscheinlichen Fall, dass Eheleute oder eine ähnliche Konstellation zusammen einen Aufenthalt buchen, um Kosmetikbehandlungen und kleine Aufbesserungsarbeiten gemeinsam vornehmen zu lassen. Doch das Angebot fand wenig Zuspruch, zumindest nicht bei heterosexuellen Paaren – meist verzichteten die Frauen bei Schönheitskorrekturen auf Gesellschaft, um später wie ein Schmetterling aus einem duftenden Kokon aufzutauchen und mit ihrer hinreißenden Schönheit die Welt zu betören. Toby war damals Geschäftsführerin, sie weiß über diese Dinge Bescheid. Sie weiß auch von der Enttäuschung der Frauen, wenn sie eine Unmenge Geld ausgegeben hatten und am Ende nicht viel besser aussahen.
Sie verstaut ihre paar Habseligkeiten im Schrank. Ihr leicht ramponiertes Fernglas: Im Lehmhaus kam es nur selten zum Einsatz, weil es dort kaum Fernblicke gab, aber jetzt wird es lebensnotwendig sein. Ihre Flinte und die Munition. Sie hatte einen Vorrat hiergelassen, also kann sie jetzt aufstocken. Ist die Munition erstmal aufgebraucht, wird die Flinte nutzlos sein, es sei denn, sie lernt, wie man Schießpulver herstellt.
Sie legt ihre Zahnbürste ins Bad nebenan. Sie hätte ihre aus dem Lehmhaus gar nicht mitbringen müssen, denn im AnuYu sind noch jede Menge Zahnbürsten vorhanden, alle in Rosa; und im Lagerraum steht ein ganzes Regal mit Minizahncreme, zwei Sorten: Bio-Kirschblüte, biologisch abbaubar und mit Mikroorganismen gegen Zahnstein; und die Küss-mich-im-Mondlicht-Sorte mit den Farbglitzerpartikeln.
Letztere versprach, den Mund im Dunkeln zum Leuchten zu bringen. Toby hat sie nie ausprobiert, aber einige der Frauen schworen darauf. Sie fragt sich, wie Zeb wohl reagieren würde, wenn plötzlich ein körperloser Leuchtmund vor ihm auftaucht. Heute Nacht wird sie es wohl nicht mehr rausfinden: Sie muss auf dem Dach Wache schieben, und ein leuchtender Mund wäre die ideale Zielscheibe für einen Scharfschützen.
Ihre alten Tagebücher; sie hat sie von der Massagebank geholt, auf der sie damals aus irgendeinem klösterlichen Bedürfnis nach Buße heraus geschlafen hatte. Sie hatte die AnuYu-Terminhefte zum Schreiben benutzt, mit Kussmund und zwinkerndem Auge. Sie hatte Gärtnertage, Feiern und Feste notiert und die Mondphasen; und die alltäglichen Vorkommnisse, falls es welche gab. Das Schreiben hatte ihr geholfen, nicht den Verstand zu verlieren. Dann, als es weiterging und wieder echte Menschen in ihr Leben traten, hatte sie die Hefte hier zurückgelassen. Jetzt sind sie wie ein Flüstern aus der Vergangenheit.
Ist es das, was Schreiben eigentlich ist? Die Stimme des eigenen Geistes, wenn der Geist eine Stimme hätte? Wenn ja, warum gibt sie dem kleinen Blackbeard diese Technik weiter? Ohne sie wären die Craker doch sicherlich glücklicher.
Sie legt die Hefte in eine Kommode. Irgendwann will sie sie noch einmal durchlesen, aber dafür ist im Moment keine Zeit.
In den Toiletten schwimmt noch immer Wasser und jede Menge
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