Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Titel: Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
Vom Netzwerk:
ernst zu nehmen, das heißt, sie wittern keine Gefahr. Drei schnüffeln in der Botanik herum, eins wälzt sich im feuchten Schlamm und das fünfte döst vor sich hin. Könnten es die fünf im Falle eines Angriffs mit einem Löwamm aufnehmen? Kein Zweifel. Zwei Löwämmer? Vielleicht sogar das. Aber bevor das passiert, hätten sie die Schafherde längst zusammengetrieben und wären mit ihnen zurück zum Haus getrottet.
    Nachdem sie die Wiese verlassen hat, bewegt sich die Prozession auf der Straße nach Norden durch den Wald, der das AnuYu-Gelände mitsamt seinem Zaun umschließt. Das nördliche Pförtnerhaus ist verlassen: nirgends ein Lebenszeichen, abgesehen von einem Wakunk, das sich auf dem Fußpfad sonnt. Als sie sich nähern, steht es auf, macht sich aber nicht die Mühe wegzulaufen. Die Tiere sind über die Maßen freundlich: In einer grausameren Welt wären sie allesamt längst zu Mützen verarbeitet worden.
    Die Straßen, die als Nächstes kommen und durch die Stadt führen, sind bedeutend unwegsamer. Zusammengekrachte und verlassene Fahrzeuge versperren den mit Scherben und Metallschrott übersäten Weg. Schon wuchern die Kudzuranken und überziehen die kaputten Formen mit zartem Grün. Um sich nicht zu verletzen, bahnen sich die Organschweine mit zierlichen Schritten ihren Weg; die Menschen haben festes Schuhwerk. Dennoch müssen sie sich mit Vorsicht bewegen und oft nach unten schauen.
    Toby hat schon geahnt, dass Blackbeard auf diesen mit Scherben und scharfkantigen Gegenständen zugemüllten Straßen Probleme bekommen könnte. Ja, seine Füße haben zwar eine dickere Hornhaut, wunderbar für Erde, Sand und sogar Kieselsteine; aber vorsichtshalber hat Toby den Schuhvorrat der MaddAddamiten durchgesehen und Blackbeard mit einem Paar Hermes-Trismegistus-Laufschuhe ausgestattet. Zuerst hatte er größte Bedenken, sich so etwas an die Füße zu ziehen – würden sie weh tun, würden sie an ihm kleben bleiben, würde er sie jemals wieder ausbekommen? Aber Toby half ihm beim An- und Ausziehen und erklärte ihm, dass er mit verletzten Füßen nicht laufen könne, und wer sollte ihnen dann sagen, was die Organschweine vorhätten? Nach einigen Probeläufen willigte er also ein. Die Schuhe haben grüne Flügelapplikationen und blinken bei jedem Schritt – die Batterien sind noch nicht leer –, und jetzt ist er vielleicht etwas zu begeistert davon.
    Er läuft vorn mit dem Haupttrupp mit, lauscht, wenn man das so sagen kann, den Lageberichten der Späher. Offenbar hat er nichts erfahren, was wichtig genug wäre, um es weiterzusagen. Hin und wieder wirft er einen Blick zurück, um nach Zeb zu sehen, und auch nach Toby. Da ist es wieder, sein knappes Winken, das wohl Alles ist gut signalisieren soll. Oder vielleicht auch nur: Ich sehe euch oder Hier bin ich oder vielleicht auch nur Guckt mal, meine coolen Schuhe! Die Luft trägt seine hohe klare Singstimme stoßweise zu ihr herüber: der Morse-Code des Crakertums.
    Von Zeit zu Zeit legen die Schweine den Kopf zur Seite, um zu ihren menschlichen Verbündeten hochzublicken, doch wie ihre Gedanken aussehen, kann man nur mutmaßen. Bei dem Tempo, das sie vorlegen, müssen ihnen die Menschen unglaublich langsam vorkommen. Sind sie verärgert? Besorgt? Ungeduldig? Froh um die Unterstützung der Artillerie? Alles das, zweifellos, denn mit ihrem menschlichen Hirngewebe können sie mehrere Widersprüche auf einmal jonglieren.
    Sie scheinen jedem Gewehrträger drei Wachen zugeordnet zu haben. Die Wachen drängen nicht, treiben nicht zusammen und dirigieren nicht, sie bleiben im Zwei-Meter-Radius ihrer Schützlinge, die Ohren bewegen sich aufmerksam hin und her. Alle MaddAddamiten ohne Spraygewehr haben je ein Organschwein zur Seite gestellt bekommen. Jimmy hat gleich fünf. Wissen sie um seine Zartheit? Bislang hat er gut mitgehalten, aber er fängt schon an zu schwitzen.
    Toby lässt sich zurückfallen, um nach ihm zu sehen. Sie reicht ihm ihre Wasserflasche: Seine eigene hat er offenbar schon ausgetrunken. Alle acht Organschweine – ihre drei, seine fünf – verändern die Position, um sie in ihre Mitte zu nehmen.
    »Die Mauer des Schweinens«, sagt Jimmy. »Die Feldjägerschnitzel. Die Hackfleisch-Hopliten.«
    »Hopliten?«, fragt Toby.
    »Die gab’s im alten Griechenland«, sagt Jimmy. »Ne Art Bürgerwehr. Wie so ne Mauer aus verschränkten Schilden. Hab ich mal was drüber gelesen.« Er ist etwas kurzatmig.
    »Vielleicht ist das eine Ehrengarde«, sagt Toby.

Weitere Kostenlose Bücher