Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
»Alles in Ordnung?«
»Diese Viecher machen mich nervös. Woher sollen wir wissen, dass sie uns nicht irgendwo hinschaffen, um über uns herzufallen und uns mit Haut und Haar zu verschlingen?«
»Das wissen wir nicht«, sagt Toby. »Aber ich würde sagen, es spricht einiges dagegen. Gelegenheit hätten sie ja schon genug gehabt.«
»Ockham’s Rasiermesser«, sagt Jimmy. Er hustet.
»Wie bitte?«, fragt Toby.
»Das war ein Crake-Ding«, sagt Jimmy bitter. »Wenn man zwei Möglichkeiten hat, wählt man die einfachere. Crake hätte gesagt, die elegantere. Dieser Arsch.«
»Wer war Ockham?«, fragt Toby. Ist das ein Hinken?
»Irgendein alter Mönch«, sagt Jimmy. »Oder Bischof. Oder vielleicht auch ne coole Sau.« Er lacht. »Sorry. Blöder Witz.«
Schweigend laufen sie ein paar Blocks weiter. Dann sagt Jimmy: »Auf Messers Schneide.«
»Wie bitte?«, fragt Toby. Sie würde ihm gern mal die Stirn fühlen. Hat er Fieber?
»Sagt man doch so. Wenn’s jeden Moment vorbei sein kann. Und sie einem außerdem auch noch die Eier abschneiden.« Jetzt ist es ein deutliches Hinken.
»Alles okay mit deinem Fuß?«, fragt Toby. Keine Antwort: Unbeirrt stapft er weiter. »Vielleicht solltest du lieber zurückgehen«, sagt sie.
»Kannst du vergessen«, sagt Jimmy.
Die Straße vor ihnen ist vom Schotter eines halbverfallenen Wohnhauses blockiert. Im Innern des Hauses hat es gebrannt – wahrscheinlich nach einem Kurzschluss, sagt Zeb, der die Truppe angehalten hat, während die Aufklärer einen Weg ausfindig machen. Die Luft riecht noch immer verbrannt. Den Schweinen gefällt es nicht: Einige geben ein Schnauben von sich.
Jimmy setzt sich auf den Boden.
»Was ist los«, sagt Zeb zu Toby.
»Es ist wieder sein Fuß«, sagt Toby. »Irgendwas stimmt nicht.«
»Also müssen wir ihn zurück zum AnuYu schaffen.«
»Er will nicht«, sagt Toby.
Jimmys fünf Organschweine schnüffeln an ihm herum, wenn auch mit gebührendem Abstand. Eines kommt näher, um an seinem Fuß zu schnuppern. Jetzt wird er von zweien angestupst, eines an jedem Arm.
»Geht weg!«, sagt Jimmy. »Was wollen die?«
»Blackbeard, bitte«, sagt Toby und ruft ihn zu sich. Er kauert sich zu den Schweinen. Es findet ein wortloser Austausch statt, gefolgt von etwas Gesang.
»Schneemensch-Jimmy muss reiten«, sagt Blackbeard. »Sie sagen, sein …« Es folgt ein für Toby unverständliches Wort, das wie ein Grunzen und Rumpeln klingt. »Sie sagen, der Teil von ihm ist stark. In der Mitte ist er stark, aber seine Füße sind schwach. Sie werden ihn auf den Rücken nehmen.«
Eine der Säue tritt vor, nicht gerade die fetteste. Sie lässt sich neben Jimmy nieder.
»Und ich soll was machen?«, fragt Jimmy.
»Bitte, o Schneemensch-Jimmy«, sagt Blackbeard. »Sie sagen, du musst dich auf ihren Rücken legen und dich an ihren Ohren festhalten. Die anderen werden neben euch herlaufen, damit du nicht runterfällst.«
»Das ist doof«, sagt Jimmy. »Ich rutsch doch runter!«
»Du hast die Wahl«, sagt Zeb. »Entweder du reitest oder du bleibst hier.«
Als Jimmy in Position ist, sagt Zeb: »Wo haben wir denn das Seil? Das könnte helfen.«
Wie ein Päckchen wird Jimmy auf dem Rücken des Schweins festgebunden, dann ziehen sie gemeinsam weiter. »Und, wie heißt es, Black Beauty oder Fury oder was?«, sagt Jimmy. »Kleinen Klaps gefällig?«
»Bitte, o Schneemensch-Jimmy, danke«, sagt Blackbeard. »Die Großen Schweine sagen, hinter den Ohren kraulen ist etwas sehr Gutes.«
Als sie Jahre später die Geschichte erzählt, sagte Toby immer gern, dass das Schwein mit Schneemensch-Jimmy wie der Wind dahingeflogen sei. So musste man doch von einem gefallenen Kameraden sprechen, vor allem von einem Kameraden mit einer so wichtigen Aufgabe – einer Aufgabe, die Toby übrigens das Leben retten sollte. Denn wäre Jimmy nicht von dem Organschwein getragen worden, würde Toby dann heute noch unter ihnen sitzen, die rote Mütze auf dem Kopf haben und ihnen diese Geschichte erzählen? Nein, das würde sie nicht. Sie läge unter einem Holunderstrauch, würde vor sich hin kompostieren und nach und nach eine andere Gestalt annehmen. Eine völlig andere Gestalt, dachte sie dann immer insgeheim.
Also flog in ihrer Geschichte das Schwein wie der Wind.
Das Erzählen wurde verkompliziert durch den Umstand, dass Toby den Namen des fliegenden Organschweins nicht annähernd so aussprechen konnte, wie es dem grunzlastigen Original entsprach. Aber niemand im Craker-Publikum
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