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Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Titel: Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Fotzenrecht erwirkt zu haben glaubte und am Ende noch ein Messer hatte. Eine Schusswaffe war weniger wahrscheinlich, weil es genau um die Zeit war, als das CorpSeCorps sämtliche Waffen konfiszierte, da es seine dubiosen öffentlichen Sicherheitsbestimmungen verschärft und sich damit auf wirksame Weise das Monopol zum Töten aus der Distanz gesichert hatte. Einige Typen vergruben ihre Glocks und andere namhafte Marken für den Notfall, deshalb war es aus demselben Grund unwahrscheinlich, dass sie sie dabeihatten. Wobei da oben im Norden nicht unbedingt jedem Gesetz und jeder Anweisung Folge geleistet wurde. Da oben waren die Grenzen immer etwas verschwommen, was Recht und Ordnung anging. Man konnte also nie wissen.
    Zurück zu den Mädchen. Wenn auf kleinen oder großen oder mittelgroßen Bäckchen ein Finger-weg-Schild klebte, dann hielt er sich daran. Aber wenn sich eine Frau im Schutz der Dunkelheit in seinen Schlafraum schlich, hätte er sie etwa zurückweisen sollen? Schon als Kind hatte man ihm ständig weisgemacht, er habe den Anstand einer Kellerassel, und er enttäuschte anderer Leute Erwartungen nur ungern. Außerdem hätte es ihrem Selbstbewusstsein geschadet, wenn man ihren Annäherungsversuch abgeschmettert hätte. Einige hätten bei Licht besehen kaum eine Chance gehabt, aber die eine hatte einen Wahnsinnsschwabbelarsch und die andere hatte Möpse wie zwei Bowlingkugeln im Einkaufsnetz und …
    »Will keiner wissen«, sagt Toby.
    »Kein Grund zur Eifersucht«, sagt Zeb. »Sind alle tot. Auf tote Frauen kann man nicht eifersüchtig sein.«
    Toby schweigt. Die üppige Leiche von Zebs einstiger Geliebten Lucerne schwebt noch immer zwischen ihnen, ungesehen, unerwähnt und für Tobys Geschmack noch lange nicht begraben.
    »Lebendig ist besser als tot«, sagt Zeb.
    »Keine Frage«, sagt Toby. »Aber andererseits, wer weiß das schon, wenn man’s nie ausprobiert hat.«
    Zeb lacht. »Du hast auch nen Wahnsinnsarsch«, sagt er. »Aber nicht schwabbelig. Kompakt.«
    »Erzähl mir von Chuck«, sagt Toby.
    Chuck tauchte bei der Bärenbrücke auf wie jemand, der sich in ein verbotenes Zimmer schleicht und so tut, als habe er jedes Recht dazu. Heimtückisch und entschlossen zugleich. Für Zebs Begriffe war seine Kleidung zu neu. Chuck sah aus, als käme er geradewegs aus einem dieser knackigen Outdoorläden, mit Reißverschlüssen, Klettverschlüssen und überall Klappen wie ein leicht perverses Videopuzzle. Nimm den Mann auseinander, finde den Kobold, gewinne einen Preis. Trau keinem in neuen Klamotten.
    »Aber Klamotten müssen doch mal neu sein«, sagt Toby. »Oder damals zumindest. Die waren nun mal nicht von Anfang an alt.«
    »Echte Kerle wissen, wie man in zirka einer Sekunde seine Klamotten eindreckt«, sagt Zeb. »Man suhlt sich kurz im Schlamm. Außerdem waren seine Zähne zu groß und weiß. Immer wenn ich solche Zähne sehe, würde ich am liebsten ne Flasche in die Hand nehmen und kurz mal dagegentippen. Nur gucken, ob sie falsch sind und wie sie klirrend zu Bruch gehen. Hochwürden, mein Vater hatte auch solche Zähne. Er hat immer Zahnweiß benutzt. Mit den Zähnen und seiner Bräune sah er aus wie son leuchtender Tiefseerochen oder ein verwester Pferdekopf in der Wüste. Ein Lächeln war bei ihm schlimmer als kein Lächeln.«
    »Lass die Kindheit lieber ruhen«, sagt Toby. »Das tut doch nur weh.«
    »Sag nee zu Ach und Weh? Verschon mich mit Moralpredigten, Baby.«
    »Bei mir funktioniert das. Wenn ich ruhen lasse, was weh tut.«
    »Bist du dir da sicher?«
    »Also. Wie war das mit Chuck?«
    »Also. Der hatte was im Blick. Chucks Augen. Laminierte Augen. Hart und glänzend. Mit so transparenten Augenlidern.«
    Als Chuck zum ersten Mal mit seinem Tablett in der Kantine auftauchte und fragte: »Darf ich mich dazusetzen?«, scannte er Zeb mit seinen laminierten Augen von oben nach unten. Wie einen Strichcode.
    Zeb sah zu ihm hoch. Er sagte nicht ja, er sagte nicht nein. Er stieß ein Allzweckgrunzen aus und widmete sich wieder der Arbeit an seinem gummartigen Rätsel von einer Wurst. Normalerweise stellt man erst ein paar persönliche Fragen – woher kommst du, wie bist du hier gelandet und so weiter –, aber nein. Chucks Eröffnungsmasche war die Bärenbrücke selbst. Was für ne großartige Org das sei, aber als diese Bemerkung bei Zeb weder ein Nicken noch sonst eine Form von Zuspruch auslöste, erzählte er weiter, dass er nur hier sei, weil in seinem Leben was im Argen liege und er, na ja,

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