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Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Titel: Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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früher wäre das vielleicht anders gewesen, als zimperlich noch eine Option war.
    »Den fettesten«, sagt Zeb. »Den ohne Knochen. Den Teil, den du auch genommen hättest. Den jeder vernünftige Mensch genommen hätte.«
    »Und wie ging’s dir dabei?«, fragt Toby. »Hörst du mal auf, mir den Hintern zu tätscheln!«
    »Wieso?«, sagt Zeb. »Och, ging so. Er hätte ja dasselbe mit mir gemacht. Vielleicht lieber streicheln, so?«
    »Ich bin zu dünn«, sagt Toby.
    »Stimmt, du könntest n paar Pölsterchen gebrauchen. Ich bring dir mal ne Packung Pralinen mit, falls ich welche auftreibe. Wirst du mal ordentlich gemästet.«
    »Und Blumen«, sagt Toby. »Am besten das volle Programm. Ich wette, das hast du noch nie gemacht.«
    »Hast du ne Ahnung«, sagt Zeb. »Ich hab auch schon Blumensträuße verschenkt. Wenn man so will.«
    »Erzähl weiter«, sagt Toby, die über Zebs Blumensträuße nicht nachdenken will oder was das für welche waren oder wem er sie geschenkt haben könnte. »Da stehst du also. In der Ferne die Berge, ein Stück Chuck auf der Erde und den Rest in deiner Tasche. Wie spät war es?«
    »Vielleicht drei Uhr nachmittags, vielleicht fünf, was weiß ich, vielleicht sogar acht, war ja anscheinend noch hell«, sagt Zeb. »Ich hatte kein Zeitgefühl mehr. Es war Mitte Juli oder hatte ich das schon gesagt? Die Sonne geht ja nie richtig unter zu der Jahreszeit, da oben. Die taucht nur mal kurz untern Horizont; man hat dann so einen schönen roten Rand. Ein paar Stunden später kommt sie wieder hoch. Die Gegend liegt zwar noch nicht über dem Polarkreis, aber immerhin so hoch, dass es schon Tundra ist: zweihundert Jahre alte Weide mit ihren waagerechten Ranken und die Wildblumen, alles blüht zur gleichen Zeit, weil der Sommer nur ein paar Wochen dauert. Nicht dass ich in dem Moment einen Blick gehabt hätte für irgendwelche Wildblumen.«
    Er überlegte, dass es besser wäre, Chuck außer Sichtweite zu schaffen. Er zog ihm wieder die Hose über und stopfte ihn unter einen der Schrauberflügel. Er tauschte noch Stiefel mit ihm – Chucks waren besser und passten einigermaßen – und ließ einen Fuß rausgucken, so dass man aus der Ferne auf jeden Fall denken würde, es sei Zeb, der da liegt. Tot zu sein hielt er für die bessere Idee – zumindest vorerst.
    Sobald die Leitstelle sah, dass der Funkkontakt abgebrochen war, würden sie jemanden schicken. Wahrscheinlich die Entstörung. Nachdem sie festgestellt hätten, dass es nichts mehr zu entstören gab und niemand wartete, Leuchtraketen zündete und mit einem weißen Taschentuch winkte, würden sie wieder abhauen: bloß keinen Sprit für Tote verschwenden. So in etwa dachte man. Das Recycling sollte ruhig die Natur übernehmen. Die Bären würden sich schon drum kümmern, die Wölfe, Vielfraße, die Raben und so weiter.
    Doch die Leute von der Bärenbrücke wären womöglich nicht die Einzigen, die vorbeischauen würden. Dass Chuck für seine Hirnklau-Nummer nicht mit der Bärenbrücke arbeitete, war klar. Denn in dem Fall hätte er nicht gezögert und direkt an der Basis was zu reißen versucht, und er hätte seine Helfer gehabt. Längst säße Zeb als hirnamputierte Hülle mit falschem Pass und ohne Fingerabdrücke in irgendeiner ehemaligen Bergwerks- oder Ölbohrer-Zombiestadt. Nicht dass man sich die Mühe gemacht hätte, überhaupt so weit zu gehen, denn wer würde ihn schon vermissen?
    Chucks Bosse mussten also woanders sitzen: nämlich da, von wo immer aus sie angerufen hatten. Aber wie nah war dieser Ort? Norman Wells, Whitehorse? Irgendwo jedenfalls mit einem Flugplatz. Zeb musste so schnell wie möglich von der Absturzstelle weg und irgendwo Unterschlupf finden. Was gar nicht so einfach war in einer fast vegetationslosen Tundra.
    Wobei – die Grolarbären und Pizzlys konnten es auch, und sie waren größer. Hatten aber auch mehr Erfahrung.

Holzhaus
    Zeb marschierte los. Der Schrauber war auf der Westseite eines sanften Hügels abgestürzt und Westen war die Richtung, die er einschlug. Er hatte einen groben Begriff der Region im Kopf. Schade, dass er die Landkarte aus Papier nicht hatte, die sie im Falle von technischem Versagen während der Flüge immer aufgeschlagen auf dem Schoß liegen hatten.
    Die Tundra war unwegsam. Schwammiger, durchweichter Boden mit versteckten Tümpeln, glitschigem Moos und heimtückischen Grasbüscheln. Aus dem Torf ragten alte Flugzeugteile – hier eine Strebe, dort ein Propellerflügel, der Abfall der

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