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Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Titel: Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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miteinkalkulierte. Den ganzen Scheiß eben.
    Schulterhohe Weiden, vom Wind geschützt; Gräser, Büsche. Fliegen, Schmeißfliegen, Moskitos. Die sollen die Karibus angeblich schon in den Wahn getrieben haben. Man sah sie auf ihren breiten Schneeschuh-Füßen übers Sumpfland ziehen, unterwegs nach Nirgendwo. Er trug Insektenspray auf: nicht zu viel auf einmal. Immer weiter westwärts, in die Richtung, in der er, wie er sich erinnerte – wie er sich meinte zu erinnern –, auf das treffen würde, was von der Canol Road geblieben war. Viel war es nicht, aber wie er von seinen Flügen wusste, standen entlang dieser Straße ein paar Gebäude. Ein altes Gästehaus, der ein oder andere Holzschuppen.
    Er ging auf einen windschiefen Telegrafenmast zu, einen uralten aus Holz. Daneben lag ein Knäuel Draht und ein Karibu-Skelett, das Geweih im Draht verfangen; ein Stück weiter lag ein Ölfass, dann zwei weitere Ölfässer, dann ein roter Kleinlastwagen in noch beinahe jungfräulichem Zustand, aber ohne Reifen. Wahrscheinlich hatten sie irgendwelche Jäger aus der Gegend abmontiert und in ihren Geländewagen mitgenommen, damals, als man sich das Benzin noch leisten konnte, um so weit rauszufahren für die Jagd. Mit solchen Reifen hätten die Leute sicher etwas anfangen können. Der Lastwagen hatte die abgerundeten Ecken, die Stromlinienform der 1940er, als die Straße gebaut wurde. Irgendein Bürokratenplan war das, um während des Zweiten Weltkriegs Öl durch eine Pipeline ins Inland zu schaffen, damit sie nicht von küstennahen U-Booten in die Luft gesprengt wurde. Sie hatten jede Menge Soldaten aus dem Süden raufgebracht, um das System zu bauen, auch viele Schwarze. Die noch nie zuvor in Gefilden mit Temperaturen unter null, fünf Tage andauernden Schneestürmen und 24-Stunden-Dunkelheit gewesen waren; die geglaubt haben müssen, in der Hölle gelandet zu sein. Der hiesigen Legende nach verlor ein Drittel dieser Leute den Verstand. Dass man hier verrückt wurde, konnte er nachvollziehen, auch ohne Schneestürme.
    Der eine Fuß war wundgelaufen, bestimmt eine Blase, aber er konnte nicht stehenbleiben, um nachzusehen. Er hoppelte den von hohen Sträuchern gesäumten, zerbröckelten Streifen Straße entlang, immer mit einem Auge am Himmel, und da stand auf einmal das Holzhaus. Ein langer flacher Bau, zwar ohne Tür, aber immerhin mit Dach.
    Schnell rein ins schattige Innere. Dann wartete er. Es war unglaublich still.
    Metallschrott, alte Bretter, rostiger Draht. Da drüben hatten wohl mal Betten gestanden. Ein zerfledderter Sessel. Die Hülle eines Radios, wie’s aussieht; die gerundeten Formen jenes Jahrzehnts, die an einen Laib Brot erinnern. Drehknopf noch dran. Ein Löffel. Die Überreste eines Ofens. Der Geruch von Teer. Sonnenlicht fällt durch einen Spalt in der Decke, sickert durch den Staub. Ein Hauch von lang vergangenem Elend, ausgebleichtem Leid.
    Das Warten war schlimmer als das Laufen. Einige Körperstellen pulsierten: die Füße, das Herz. Sein Atem ging heiser.
    Dann fragte er sich, ob er nicht womöglich selbst verwanzt war; von Chuck, für den Notfall – ob er ihm nicht unbemerkt einen Minisender in die Hosentasche gesteckt hatte. Wenn ja, war er Grillfleisch: Dann konnten sie ihn jetzt atmen hören. Sie hätten ihn sogar singen gehört. Sie würden ihn lokalisieren, ihn mit einer Minirakete beschießen und paff.
    Kann man nichts machen.
    Nach – was? Einer Stunde? – sah er die tieffliegende Ornidrohne. Ja, aus Nordost: Norman Wells. Sie nahm direkten Kurs auf die Absturzstelle und flog ein paarmal darüber hinweg, um Bildmaterial zu versenden. Wer immer sie am Stützpunkt lenkte, traf eine Entscheidung. Er feuerte auf die kaputte Tragfläche mit dem darunterliegenden Chuck, und es dröhnte mehrmals. Anschließend jagte er das, was von dem Schrauber noch übrig war, in die Luft. Zeb konnte sich das Gespräch genau ausmalen: Keine Überlebenden. Sicher? Unmöglich. Beide? Muss wohl. Bin jedenfalls auf Nummer sicher gegangen, verbrannte Erde .
    Er hielt den Atem an, doch die Drohne folgte nicht der Spur der schwimmenden Weste und sie ignorierte das verfallene Holzhaus; sie machte einfach nur kehrt und flog in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war. Sie hatten als Erste vor Ort sein und die Spuren verwischen wollen, um schnellstens zu verschwinden, bevor die Bärenbrücke auf der Bildfläche erschien.
    Was dann auch geschah, auf die übliche entspannte Weise. Mach voran, dachte Zeb, ich hab

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