Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
tollkühnen Buschpiloten, die plötzlich von Nebel oder Sturmwinden überrascht worden waren, irgendwann im zwanzigsten Jahrhundert, vor langer Zeit. Er entdeckte einen Pilz, ließ aber die Finger davon: Er kannte sich mit Pilzen nicht aus, aber manche waren halluzinogen. Das fehlte ihm gerade noch, ein Pilztrip, grüne und lila Teddybären mit rosafarbenem Grinsen, die ihn auf winzigen Flügelchen umschwirrten. Als wäre der Tag nicht schon surreal genug gewesen.
Das Bärengewehr war geladen, das Spray griffbereit. Überraschte man einen Bären, ging er zum Angriff über. Das Spray hatte nur dann Sinn, wenn man schon das Rote im Auge des Bären sah, man hatte also nur ein schmales Zeitfenster – sprühen und sofort schießen. War es ein Pizzly, würde es so ablaufen. Ein Grolarbär dagegen würde einem auflauern und sich von hinten nähern. Im feuchten Sand entdeckte er einen Abdruck, linke Vorderpfote, und ein Stück weiter frischen Kot. Wahrscheinlich hatten sie ihn schon ins Visier genommen. Sie wussten, dass er ein Päckchen mit Blut und Muskelfleisch dabeihatte: Sie konnten es riechen. Sie konnten seine Angst riechen.
Trotz Chucks hochwertiger Stiefel waren seine Füße schon durchnässt. Die Stiefel passten doch nicht so gut, wie er angenommen hatte. Er stellte sich seine Füße in den Socken vor, bleich, teigig und voller Blasen. Um loszukommen von dem Gedanken daran – von den Bären, dem toten Chuck und von allem überhaupt – und um ein bisschen Lärm zu machen und die Pizzlys zu warnen, damit weder er noch sie überrascht würden, sang er ein Lied. Es war eine Angewohnheit aus seiner sogenannten Jugend, da hatte er im Dunkeln immer vor sich hin gepfiffen, wenn er wieder mal irgendwo eingesperrt worden war. Im Dunkeln, in der Dunkelheit, in der Dunkelheit, die immer da war, selbst wenn es taghell war.
Der Vater ist Sadist, die Mutter ist ne Pest
Jetzt mach die Augen zu und schlafe tief und fest
Nein, jetzt nicht schlafen, obwohl er inzwischen todmüde war. Er musste weiter. Gewaltmarsch.
Idiotisch, idiotisch, idiotisch, idiotisch
Ich bin so schlimm, so richtig schlimm, so richtig schlimm psychotisch.
Weiter unten lag ein Streifen mit dichterem Grün, der auf einen Wildbach deutete. Über die kleinen Hügel, das Moos und die nackten Stellen, wo sich im tiefen Frost des Winters die Kieselsteine an die Oberfläche durchgebrannt hatten, steuerte er darauf zu. Es war nicht sonderlich kalt an jenem Tag, in der Sonne war es sogar heiß, aber noch immer hatte er Zitteranfälle, er schüttelte sich wie ein nasser Hund. Er hüllte sich fester in Chucks Weste, die er sich zusätzlich über seine eigene gezogen hatte.
Als er den Bach schon fast erreicht hatte – es war eher ein Fluss, die Strömung war ziemlich stark –, dachte er: Und was ist, wenn sie abgehört wird. Die Weste. Da könnte ja irgendwo ein Peilsender eingenäht sein. Dann denken sie, Chuck lebt und ist unterwegs, auch wenn er rätselhafterweise nicht ans Telefon geht. Sie werden jemanden schicken, um ihn abzuholen.
Er zog die Weste aus, watete durch den Bach bis an die Stelle, wo die Strömung am stärksten war, drückte die Weste unter Wasser. Sie blähte sich auf, sie würde nicht sinken. Er hätte Steine in die Taschen stecken können, aber es war besser, sie davontreiben zu lassen, weit weg. Er sah ihr nach, wie sie flussabwärts trieb wie eine seltsame Qualle, und dachte: Das war jetzt vielleicht nicht ganz so schlau. Ich muss mich konzentrieren.
Er schaufelte sich mit der hohlen Hand kaltes Wasser in den Mund – trink nicht zu viel, das beschwert – und fragte sich, ob er gerade eine pisspottgroße Menge Bieberfieber geschluckt hatte. Aber hier oben lebten bestimmt gar keine Bieber. Was hatten Wölfe für Krankheiten? Tollwut, ja, aber sowas kriegt man nicht vom Trinken. Aufgelöste Elchkacke – waren da nicht diese klitzekleinen Würmer drin, die sich durchs Fleisch graben? Irgendeine Art Leberegel?
Warum stehst du im Wasser und führst Selbstgespräche?, fragte er. Mitten auf dem Präsentierteller. Folge dem Flusstal, befahl er sich. Geh unterm Dickicht, wo man dich nicht sehen kann. Er zählte im Kopf: Wie lange würde es dauern, von dem Moment an, als Chuck nicht ans Telefon gegangen war? Zwei Stunden vielleicht, wenn man die Panik der Ungewissheit, die von ferne oder sonstwie einberufene Besprechung, das Hin- und Hergesimse, das Trödeln, die Geldschieberei und die unterschwelligen Anschuldigungen
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