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Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)

Titel: Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Zunge rausstreckt, schmeckt die Luft bestimmt nach Hühnersuppe.
    Im Dämmerlicht stand ein Karibu. Das Tier sah ihn an, er sah das Tier an. Es war außer Schussweite, viel zu schnell zum Jagen. Diese Viecher konnten übers Sumpfland heizen, als hätten sie Skier an den Füßen.
    Der nächste Tag war sonnig und fast heiß; alles in der Ferne hatte wacklige Konturen wie eine Fata Morgana. Hatte er noch Hunger? Schwer zu sagen. Er nahm Wörter wahr, die von ihm aufstiegen und von der Sonne versengt wurden. Bald wäre er wortlos und wäre er dann noch in der Lage zu denken? Nein und ja, ja und nein. Er wäre direkt dran, dran an allem, was den Raum ausfüllte, durch den er sich bewegte, ohne die gläserne Scheibe der Sprache, die zwischen ihm und allem stand, was nicht er war. Alles, was nicht er war, sickerte durch seine Reserve, durch seine Ecken und Kanten, es fraß an seiner Gestalt, es drang mit seinen zarten Wurzeln in seinen Kopf wie Haare, nur umgekehrt. Bald wäre er überwuchert, bald wäre er eins mit dem Moos. Er musste in Bewegung bleiben, seine Konturen wahren, sich durch seine Stoßwellen definieren, durch sein Kielwasser in der Luft. Um achtsam zu bleiben, um einen wachen Blick zu behalten für das – für was eigentlich? Für was immer ihm entgegenkommen und plötzlich aufhalten könnte.
    An der nächsten ausgewaschenen Brücke schälte sich ein Bär aus dem niedrigen Buschwerk des Flussufers. Erst war er nicht da, und dann war er da, und er stellte sich erschrocken auf die Hinterfüße und bot sich dar. War da ein Knurren, ein Brüllen, ein Gestank? Ganz bestimmt, aber Zeb kann sich nicht erinnern. Er muss ihm Bärenspray in die Augen gesprüht und ihn kurzerhand abgeschossen haben, aber es gibt keine fotografische Überlieferung.
    Ehe er sich’s versah, war er schon zur Schlachtung übergegangen und hackte mit seinem kümmerlichen Messer darauf ein. Er steckte bis zu den Handgelenken in Blut, und dann kam der Hauptgewinn: das Fleisch, das Fell. Die beiden Raben standen etwas abseits und machten rrr , rrr , sie warteten, bis sie an der Reihe waren: die dicken Brocken für ihn, die Reste für sie.
    »Iss nicht so viel«, sagte er beim Kauen und rief sich die Gefahren ins Gedächtnis, wenn man sich nach langem Darben den Magen vollschlug, vor allem mit einer so reichhaltigen und hypersaturierten Mahlzeit. »Nicht so viel auf einmal.« Seine Stimme erschien ihm gedämpft, als würde er unter der Erde mit sich selbst telefonieren. Wie schmeckte das Zeug überhaupt? Egal! Konnte er jetzt, nachdem er das Herz verspeist hatte, die Sprache der Bären sprechen?
    Man muss ihn sich vorstellen, am nächsten oder übernächsten Tag oder irgendwann auf halbem Weg an sein Ziel, wo immer das sein mag, wobei er den Glauben noch nicht aufgegeben hat, dass es ein Ziel gibt. Er hat neues Schuhwerk – die Füße in Leder gewickelt, das Fell nach innen, kreuz und quer zusammengebunden wie ein Höhlenmensch aus einem Comic. Er hat einen Fellumhang, er hat eine Fellmütze, alles schwer und übelriechend, und in all dem Zeug schläft er auch. Er trägt eine Fracht aus Fleisch und einen dicken Batzen Fett mit sich. Hätte er die Zeit, würde er das Fett zu Öl ausschmelzen und sich damit einreiben, aber stattdessen verzehrt er es wie Treibstoff, Häppchen für Häppchen. Und so wirkt es tatsächlich, er verbrennt sogar das Fett; er spürt, wie es ihm heiß durch die Adern schießt.
    »Alle Sorgen sind dahin«, singt er. Die Raben sind seine ständigen Begleiter, sie beschatten ihn. Inzwischen sind es schon vier: Er ist der Rabenfänger von Hameln. »There’s a bluebird on my windowsill«, singt er ihnen vor. Seine Mutter war ein Fan von solch heiterem Retro-Scheiß. Und von peppigen Chorälen.
    Und jetzt, aus großer Entfernung über das relativ glatte Stück Straße, kommt ihm ein Radler entgegen. Irgendein hartgesottener Mountainbiker im totalen Endorphinrausch. Hin und wieder reisen die Leute durch Whitehorse, stocken in den Sportläden ihre Vorräte auf und begeben sich ins Gebirge, um auf der Old Canol Road ihr Standvermögen zu testen. Sie radeln bis zum Holzhaus – das ist die übliche Route. Dann radeln sie wieder zurück, dünner, sehniger, verrückter im Kopf. Einige bringen Geschichten von Entführungen durch Außerirdische mit, andere erzählen von Füchsen, andere wiederum von menschlichen Stimmen nachts in der Tundra. Oder halb-menschlichen Stimmen. Lockende Stimmen.
    Nein, es sind zwei Mountainbiker.

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