Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
Heimweh nach diesen Tagen so heftig und so unerwartet, dass es sie umhaut wie eine Monsterwelle. Hätte sie damals eine Kamera gehabt, ein Fotoalbum, würde sie jetzt über den Bildern hocken. Doch die Gärtner waren gegen Kameras und schriftliche Aufzeichnungen; alles, was ihr jetzt noch bleibt, sind Wörter.
Es hätte heute keinen Sinn mehr, ein Gärtner zu sein: Die Feinde der Schöpfung Gottes existieren nicht mehr und die Tiere und Vögel – diejenigen, die nicht unter der menschlichen Herrschaft des Planeten ausstarben – vermehren sich unkontrolliert. Von der Pflanzenwelt ganz zu schweigen.
Wobei wir auf bestimmte Pflanzen durchaus verzichten könnten, denkt sie, während sie die aggressiven Kudzuranken stutzt, die fortwährend am Gartenzaum hochklettern. Das Zeug drängt überall hinein. Es wächst und wächst, in zwölf Stunden bis zu einem halben Meter, wie ein Tsunami stürzt es sich auf alles, was ihm in die Quere kommt. Die grasenden Mo ’ Hairschafe tragen ihren Teil dazu bei, es in Schach zu halten, die Craker knabbern fleißig daran herum und Rebecca serviert es als Spinatersatz, doch das alles ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Sie hat mitbekommen, dass einige der Männer darüber nachdenken, Wein daraus zu keltern, aber sie ist zwiegespalten. Sie kann sich nicht vorstellen, dass er schmecken soll – Pinot Grigio gekreuzt mit zerstampftem Gras? Pinot Vert mit einem Hauch Kompost? Aber davon abgesehen – könnte es sich ihre kleine Gruppe überhaupt leisten, dem Alkohol, egal in welcher Form, zu frönen? Er stumpft die Sinne ab und macht angreifbar. Ihre kleine Enklave ist so schon schlecht gesichert. Eine betrunkene Wache, dann der Überfall, dann das Blutbad.
»Ich hab einen Schwarm für dich gefunden«, sagt Zebs Stimme. Er ist unbemerkt von hinten gekommen: So viel zum Thema Wachsamkeit.
Lächelnd dreht sie sich um. Ist ihr Lächeln echt? Nicht ganz, denn noch immer weiß sie nicht, was wirklich mit Swift-Fuchs gelaufen ist. Mit Swift-Fuchs und Zeb. Haben sie oder haben sie nicht? Und wenn er einfach nur die offene Tür genommen – überhaupt nicht nachgedacht hat, warum sollte sie es dann tun? »Einen Schwarm?«, fragt sie. »Wirklich? Wo denn?«
»Komm mit in den Wald«, sagt er grinsend wie ein Märchenwolf und streckt ihr seine Pfote entgegen. Also nimmt sie sie natürlich und verzeiht ihm alles. Vorerst. Auch wenn da vielleicht gar nichts zu verzeihen ist.
Sie verlassen die Lehmhaus-Lichtung und gehen auf den Waldrand zu. Es fühlt sich jetzt wirklich wie eine Lichtung an, obwohl die MaddAddamiten nie etwas gerodet haben. Aber jetzt mit der vorrückenden Vegetation arbeiten sie daran, dass es eine Lichtung bleibt, also zählt das vielleicht.
Unter den Bäumen ist es kühler. Auch unheilvoller: Die grüne Schraffur aus Blättern und Zweigen blockiert die Sichtachsen. Es gibt einen durch zertretene Zweige angedeuteten Trampelpfad, den Zeb offenbar schon benutzt hat.
»Meinst du, wir sind sicher?«, fragt Toby. Ohne nachzudenken hat sie die Stimme gesenkt. Auf freiem Feld schaut man, denn ein Raubtier sieht man eher, als dass man es hört. Aber unter den Bäumen muss man horchen, denn man hört etwas eher, als dass man es sieht.
»Ich war ja eben noch hier, ich hab mich umgesehen«, sagt Zeb viel zu zuversichtlich für Tobys Geschmack.
Da ist der Schwarm, eine große Kugel Bienen von der Größe einer Wassermelone, die von den unteren Ästen einer jungen Platane hängt. Leise summt er vor sich hin; die Oberfläche der Kugel kräuselt sich wie goldenes Fell in einer Brise.
»Danke«, sagt Toby. Sie sollte zurück zum Lehmhaus gehen, einen Behälter suchen und den ganzen Schwarm aufschöpfen, um die Königin einzufangen. Dann würde der Rest des Schwarms folgen. Sie wird die Bienen nicht einmal ausräuchern müssen: Sie werden nicht stechen, weil sie ihr Nest verteidigen. Sie wird ihnen erst erklären, dass sie es gut mit ihnen meint, und dann werden sie hoffentlich ihre Verbindung zum Land der Toten sein. Von Pilar, die ihr bei den Gärtnern alles über die Bienen beibrachte, weiß sie, dass dieser Vortrag notwendig ist, wenn man einen wilden Bienenschwarm zum Mitkommen bewegen will.
»Vielleicht sollte ich eine Tüte holen oder sowas«, sagt sie. »Die suchen schon nach einem guten Platz für ihr Nest. Die werden bald fliegen.«
»Soll ich sie so lange babysitten?«, fragt Zeb.
»Musst du nicht«, sagt sie. Sie will, dass er zum Lehmhaus mit zurückkommt: Sie
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