Die Geschichte von Zeb: Roman (German Edition)
man kann einen Stock nehmen und damit in den nassen Sand schreiben. Das alles kann man zum Schreiben verwenden.
»Pass auf«, sagt sie, »so schreibt man die Buchstaben. Jeder Buchstabe steht für einen Laut. Und wenn man die Buchstaben zusammenzieht, ergeben sie ein Wort. Und die Wörter bleiben dort, wo man sie hingesetzt hat auf dem Papier, und dann können andere Menschen sie auf dem Papier sehen und die Wörter hören.«
Blackbeard sieht sie an, er blinzelt verwirrt und ungläubig. »O Toby, aber es kann nicht sprechen«, sagt er. »Ich sehe die Zeichen, die du dort hingemacht hast. Aber sie sagen nichts.«
»Du musst dem, was da steht, eine Stimme geben«, sagt sie. »Wenn du es liest . Lesen ist, wenn du diese Zeichen wieder in Laute verwandelst. Sieh mal, ich schreibe jetzt deinen Namen.«
Behutsam reißt sie eine Seite aus dem Heft heraus und schreibt in Druckschrift: BLACKBEARD . Dann spricht sie jeden Buchstaben laut für ihn aus. »Verstehst du?«, sagt sie. »Das bist du. Das ist dein Name.« Sie gibt ihm den Stift in die Hand, wickelt seine Finger um den Stift, führt seine Hand: Buchstabe B.
»So fängt dein Name an«, sagt sie. »B. Wie Biene. Es ist derselbe Laut.« Wozu erzählt sie ihm das? Was soll er damit anfangen?
»Das bin ich nicht«, sagt Blackbeard stirnrunzelnd. »Das sind auch keine Bienen. Das sind nur Striche.«
»Geh mit diesem Blatt Papier zu Ren«, sagt Toby lächelnd. »Bitte sie, zu lesen, was draufsteht, und dann kommst du zurück und sagst mir, ob sie deinen Namen gesagt hat.«
Blackbeard starrt sie an. Er traut ihr nicht, nimmt aber dennoch das Blatt Papier und hält es vorsichtig in Händen, als wenn es mit unsichtbarem Gift besprüht wäre. »Wartest du hier?«, fragt er. »Bis ich zurückkomme?«
»Ja«, sagt sie. »Ich warte hier.« Er geht wie immer rückwärts aus der Tür, ohne den Blick von ihr zu nehmen, bis er verschwunden ist.
Sie wendet sich wieder ihrem Tagebuch zu. Was kann man sonst noch schreiben außer der nüchternen Chronik, mit der sie begonnen hat? Was für eine Art Geschichte – was für eine Art Historie wird überhaupt jenen Menschen von Nutzen sein, von deren Existenz sie nichts wissen kann, in der unvorhersehbaren Zukunft?
Zeb und der Bär, schreibt sie . Zeb und MaddAddam. Zeb und Crake . All diese Geschichten ließen sich aufschreiben. Aber wozu und für wen? Nur für sich selbst, weil sie dadurch die Möglichkeit hat, über Zeb nachzudenken?
Zeb und Toby, schreibt sie. Aber das wird sicherlich nur eine Fußnote sein.
Keine voreiligen Schlüsse, sagt sie zu sich. Er ist in den Garten gekommen, er hat Geschenke gebracht. Das mit Swift-Fuchs könnte eine Fehlinterpretation sein. Und selbst wenn nicht, na und? Nimm das, was der Augenblick dir bietet. Lass es geschehen. Sei dankbar.
Blackbeard schlüpft wieder ins Zimmer. Er hat das Blatt Papier, er hält es vor sich wie ein heißes Schild. Er strahlt über beide Ohren.
»Es war so, o Toby«, sagt er. »Es hat meinen Namen gesagt! Es hat Ren meinen Namen gesagt!«
»Siehst du«, sagt sie. »Das nennt man schreiben .«
Blackbeard nickt: Jetzt begreift er die Möglichkeiten. »Ich kann das behalten?«
»Natürlich«, sagt Toby.
»Zeig’s mir nochmal. Mit dem schwarzen Ding.«
Später – nach dem Regen, nachdem der Regen aufgehört hat – findet sie ihn im Sandkasten. Er hat ein Stöckchen in der Hand, und das Blatt Papier. Die anderen Kinder sehen ihm zu. Alle singen.
Was habe ich nur angerichtet?, denkt sie. Habe ich da etwa in ein Wespennest gestochen? Sie sind so schnell, diese Kinder: Sie werden es aufgreifen und an alle anderen weitergeben.
Und was kommt danach? Vorschriften, Dogmen, Gesetze? Das Testament des Crake? Wie lange wird es dauern, bis es uralte Schriften gibt, denen sie zu gehorchen glauben müssen, die sie aber nicht mehr deuten können? Habe ich sie für immer verdorben?
Schwarm
Zum Frühstück gibt es Kudzu und Gemüseallerlei, Speck, ein seltsames Fladenbrot mit unidentifizierbaren Körnern, gedünstete Klettenwurzel. Kaffee aus verschiedenen gerösteten Wurzeln; Löwenzahn, Zichorie und noch etwas anderes. Er schmeckt irgendwie nach Asche.
Zucker wird allmählich knapp und sie haben keinen Honig. Aber es gibt Mo’Hairschafsmilch. Ein anderes Weibchen – das Blauhaarige – hat Zwillinge bekommen, ein blondes und ein braunhaariges Schaf. Es wurden ein paar Witze über Lammeintopf gerissen, aber an so etwas würde niemand ernsthaft denken: Irgendwie
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