Die Geschichte von Zoe und Will
jetzt, als entsprängen sie einem Märchen, der Vorstellung eines kleinen Mädchens von ihrem Traumprinzen. Aber diese Momente, jede weitere Sekunde, die ich mit Will verbringe, zeigen mir, wie öde, wie falsch das Märchen ist. Wie viel besser – und schlechter – das echte Leben ist.
Ich will ihn küssen. Ich will keine Angst haben.
Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte, also bringe ich ihn zum Reden. »War alles schlimm? Jedes Heim, die ganze Zeit über?«
Will lässt mich los, dreht sich auf den Rücken und zieht mich dann an sich. Er denkt eine Weile nach, und ich lausche dem entspannten Herzschlag in seiner Brust.
»Nee, nicht alles. Da war diese Frau, sie war eine Sioux, die die Urlaubszeiten übernommen hat. Sie hat die Kinder ein paar Wochen bei sich aufgenommen, damit die richtigen Pflegeeltern eine Pause von uns hatten. Damit die nicht wahnsinnig werden oder was auch immer. Na ja, ich bin also für ein paar Jahre zwei Mal im Jahr bei ihr gewesen, und es war toll. Sie mochte es, uns ihre Stammesgeschichte zu erzählen, und sie hat sich mächtig über die Weißen aufgeregt. Dann gab es bei uns diese Schreiwettbewerbe, wer am meisten von was auch immer beschissen worden ist. Denn jeder von uns hatte das Gefühl, von jemandem gelinkt worden zu sein, verstehst du? Es war unglaublich witzig. Jeder hat versucht, die anderen mit seinem Scheiß-Leben zu übertrumpfen.« Ein leises Lachen entkommt seiner Kehle.
»Aber es war gut. Sie hat Cookies gebacken. An jedem einzelnen, verfluchten Abend. Mit Schokoladensplittern, Erdnussbutter, diesem ganzen Gourmet-Zeug, das ich vorher nie gesehen habe. Als sie jünger war, hat sie Konditor gelernt, aber sie ist zurück ins Reservat gekommen, um sich um ihren todkranken Dad zu kümmern, und danach ist sie nicht mehr zurückgegangen. Wir mussten ihr bei den Cookies helfen. Es war lustig. Die ganze Zeit hat sie gerufen: ›Umrühren, umrühren, weiter umrühren , schlagt die Butter weich, man darf die Zuckerkristalle nicht mehr spüren.‹ Ich dachte, mir würden die Arme abfallen. Aber es waren verdammt gute Cookies.«
Ich strecke die Hand nach seinem Haar aus und fahre mit den Fingern durch seine Strähnen. Sehe aus den Augenwinkeln, wie sein Blick zu meinem Gesicht huscht. »Ich kann dir auch Cookies backen.«
»Das wäre toll. Ich könnte helfen. Sie hat mir beigebracht, wie man hilft.«
Das Zimmer ist warm, ebenso wie das Bett, und ich reibe mir mit den Daumen die Augen, streiche die Müdigkeit fort.
»Das war’s? Ein paar gute Wochen pro Jahr?«
»Nein, da war …«
»Da war was?«
Ich warte, doch er redet nicht weiter. Eine lange Zeit nicht.
WILL
ICH HÄTTE ES NICHT zur Sprache bringen dürfen. Hätte mein verdammtes Maul halten müssen. Sie will Gutes hören, und es war einmal, vor langer Zeit, da ist mir auch was Gutes passiert. Bevor ich es vermasselt habe.
»Vergiss es!«
»Erzähl schon. Ich will alles wissen.«
»Das hier willst du nicht wissen.«
»Will.«
Sie denkt, sie will es wissen, aber sie will es nicht wissen, nicht wirklich. Nicht sie, so wie sie kleine Kinder liebt und Gutes tut und all das. Es ist die Art Sache, mit der ich sie vergraulen kann. Die Art Sache, die ihr zu denken geben wird, warum zum Teufel sie sich überhaupt in mich verliebt hat.
Vielleicht ist es das Beste, wenn sie es gleich erfährt, um zu sehen, ob sie es ertragen kann.
»Na schön. Erinnerst du dich, als ich dir vom Baseballschläger erzählt habe? Nachdem sie mich dort rausgeholt haben, bin ich zu dieser neuen Familie gekommen. Den Tuckers. Mann und Frau, so um die vierzig. Wirklich nette Menschen. Echte Christen, aber von der netten Sorte. Sind jeden Sonntag in die Kirche gegangen, und das war am Anfang komisch, aber dann hab ich mich dran gewöhnt. Hab kein Wort von all dem geglaubt, aber das war schon okay.« Ich höre auf zu reden, lasse die Worte sacken. Schinde Zeit. Ich sollte ihr diesen ganzen Scheiß nicht erzählen. Ich muss vergessen, dass es überhaupt passiert ist.
Nein. Das kann ich nicht vergessen.
»Eigentlich habe ich schon einen Teil geglaubt. Nämlich den, dass es Heilige gibt. Denn Mrs. Tucker war eine. Sie hat die Allerschlimmsten von uns aufgenommen. Schwierige Kids wie mich. Drogenabhängige Babys. O mein Gott, diese Babys haben die ganze Nacht geschrien. Aber wenn man zu ihr rein ist, saß sie einfach in ihrem Schaukelstuhl und wiegte sie, mit geschlossenen Augen, als wäre sie eingeschlafen, obwohl ihr das Kind ins Ohr
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