Die Geschichte von Zoe und Will
mich, dass Misty oft bei dir babygesittet hat. Doch dann ist deine Mom abgehauen und nicht zurückgekommen. Du warst so klein, dass du dich wahrscheinlich an gar nichts erinnerst. Die Leute haben Misty geraten, sie solle deiner Großmutter Bescheid geben. Aber wir haben uns alle an Alba erinnert, als sie hier gewohnt hat, und so hat schließlich niemand was gesagt, als Misty sie nicht angerufen hat. Jetzt sieh dich nur an. So groß. Und du hast eine Freundin.«
Will spielt mit seinen Autoschlüsseln, dreht sie um seine Finger, bis er das Gesicht verzieht. Ich weiß nicht, ob er wegen der Schlüssel zusammenzuckt oder der Frage, die er als Nächstes stellt. »Nun, weißt du, wo meine Mom ist? Oder mein Dad?«
Julies Gesichtsausdruck verändert sich, sie beugt sich vor und kommt Will ganz nah. »Hätte Mary gewusst, wer dein Dad war, hätte sie ihn geheiratet und keinen Nervenzusammenbruch bekommen. Das war nämlich der Grund, warum Alba mit ihr gebrochen hat. Konnte den Anblick ihres guten, katholischen Mädchens nicht ertragen, das mit sechzehn unverheiratet schwanger war. Also ist sie weiß Gott wohin abgehauen, und Mary hat ihr Bestes gegeben, bevor es einfach zu viel für sie wurde. Ich wette, du hasst sie, nicht wahr? Deine Mom. Aber ich wette auch, sie hat geglaubt, sie hätte das Richtige für dich getan. Mary war ein gutes Mädchen mit einem klugen Kopf auf den Schultern.«
Ich packe Wills Hand so fest ich kann.
»Wo ist sie hin? Meine Mom.«
»Ich weiß es nicht. Sie hat keine Adresse hinterlassen. Könnte genauso gut längst tot sein. Mary Torres war die Art Mädchen, die sich von allen in alles hat reinreden lassen. Das kommt wohl davon, wenn man von einer Frau mit eiserner Hand erzogen wird.«
Julie streicht sich eine grau melierte Strähne hinters Ohr. »Ich rufe gleich mal Misty an. Es wird ihr die Sprache verschlagen, wenn sie hört, dass du wieder in meinem Wohnzimmer sitzt.« Sie holt das Telefon von einem Beistelltischchen und beginnt zu wählen. »Früher hast du an dem Tisch dort rumgekaut. Hat mich überrascht, dass dich das nicht umgebracht hat, bei all den Chemikalien, mit denen die Leute die Möbel behandeln.«
Will und ich sehen beide zu dem Tisch, während Julie wählt, und wahrhaftig, die Ecken sind abgeknabbert, und der Lack fehlt. Will lacht.
»Misty, du wirst nicht glauben, wen ich hier hab … verdammt noch mal, woher weißt du das?« Julie legt die Hand auf den Hörer und blickt in unsere Richtung. »Sie hat’s auf Anhieb erraten. Sagt, sie wüsste, dass du gerade achtzehn geworden bist. Sie hat deinen Geburtstag nämlich im Kopf.« Ihre Hand gleitet an ihre Hüfte, und sie wirft uns einen frechen Blick zu. »Sei still, Misty. Ich bin alt, ich brauch nicht aufzuhören mit Fluchen. Was? Wie er aussieht? Nicht wie der Junge, den wir gekannt haben. Groß. Gut aussehend. Er hat ein Mädchen bei sich.«
Will lacht wieder, und es klingt, als säße er in einem Fahrgeschäft, bei dem sein wildes Lachen in die Höhe schnellt, bevor es sich im nächsten Moment wieder nach unten schraubt.
»Ja, red du lieber mit ihm.« Julie reicht das Telefon von ihrem Sessel zur Couch. Meine Hand streckt sich danach, weil ich nicht sicher bin, ob Will dazu bereit ist, aber er schnappt es sich.
»Hallo?«
Es folgt ein Schrei, den wir alle am anderen Ende der Leitung hören können, dann verwandelt sich das schrille Kreischen in ein Schluchzen.
»Stell den Lautsprecher an«, verlangt Julie.
Gehorsam drückt Will auf die Lautsprechertaste, und wir hören alle, wie Misty nach Atem ringt.
»Hör auf, zu weinen, Kleines. Du kannst doch nicht mit dem Jungen reden, wenn du so flennst.«
Misty reagiert darauf mit etwas, das sich für mich wie die Bitte anhört, den Lautsprecher auszuschalten, aber ich bin nicht ganz sicher, weil die Worte so abgehackt und gedämpft klingen.
Will sieht mich an. Verunsicherung legt sich über sein Gesicht.
»Frag sie, wie es ihr geht. Was sie getan hat«, flüstere ich.
»Ist das deine Freundin?«, kommt die Stimme aus dem Telefon, und es folgt ein Moment, in dem wir drei uns einfach nur ansehen, bis wir lauthals in Gelächter ausbrechen. »Ich bin Misty. Ich weiß nicht, ob Will dir je von mir erzählt hat.«
»Er hat mir von Ihnen erzählt. Sie waren eines der guten Dinge, die ihm widerfahren sind.«
»Er war immer ein lieber Junge.«
»Was hast du so getrieben?«, setzt Will an.
»Nur so gelebt. Gearbeitet. Habe vor zwölf Jahren geheiratet und bin nach
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