Die Geschichte von Zoe und Will
Kalifornien gezogen. Ich habe jetzt zwei Mädchen. Ich habe … ich habe ihnen nie von dir erzählt. Weil ich nicht wusste, ob ich dich jemals wiedersehen würde. Aber das wollte ich, immer. Ich muss es ihnen gleich erzählen. Was tust du in Nevada? Wie geht’s deiner Großmutter?«
»Die ist schon lange tot.«
Es folgt ein angespanntes Schweigen, während wir darauf warten, dass Misty die richtigen Worte findet.
»Tut mir leid«, murmelt sie schließlich.
»Meinetwegen musst du das nicht sagen. Wir sind jetzt beide an besseren Orten.« Wieder breitet sich ein Moment der Stille aus, und wir blicken in unseren Schoß oder zur Wanduhr. Mistys Atem rasselt im Telefon.
»Will. Ich habe versucht, dich zu behalten. Ich habe drei verschiedene Anwälte aufgesucht, und jeder von denen hat mir dasselbe gesagt: Ich hätte nicht die geringste Chance gegen deine Großmutter. Es hat keine Rolle gespielt, dass ich dich aufgezogen habe oder dass wir so gut wie eine Familie waren oder dass ich dich geliebt habe – niemanden hat das interessiert, weil deine Großmutter blutsverwandt war. Aber als sie kam und dich mir weggenommen hat, war das einer der schlimmsten Tage meines Lebens. Ich habe lange darauf gewartet, etwas von dir zu hören. Wo bist du gewesen? Wohin bist du gekommen, als deine Großmutter gestorben ist?«
»Zu meinem Onkel«, sagt Will. »Dann hat mich meine Tante nach North Dakota mitgenommen, aber als sie wieder geheiratet hat, bin ich im Heim gelandet. Hab bei ein paar Familien gewohnt, bis sie mich in ein Wohnheim in Fargo gesteckt haben. Bin nämlich in der Schule irgendwie in Schwierigkeiten geraten.«
Will hört auf zu reden und mustert einen kleinen Fleck auf seiner Jeans, bevor er fortfährt. »Bin aus einer rausgeflogen, weil ich mich geprügelt habe, und dann aus der anderen … wieder wegen einer Prügelei. Dann haben sie mich in ein neues Heim gesteckt … aber das hat auch nicht richtig funktioniert. Der Leiter dort hat dem Sozialamt gesagt, es wäre besser für mich, wenn ich irgendwo arbeiten würde, denn ich durfte nicht wieder in Schwierigkeiten geraten. Also wurde ich an den Arsch der Welt geschickt und habe einen Sommer und einen Teil des Schuljahrs auf einer Ranch gearbeitet.« Will zuckt mit den Schultern, als könnte Misty ihn sehen. »War gar nicht so übel. Aber irgendein Genie hat bemerkt, dass ich gar nicht für die Schule eingeschrieben war, und so haben sie das nachgeholt. Das war vor ein paar Monaten, und ich bin sofort abgehauen, als ich achtzehn geworden bin.«
»Und das war’s?«
»Sie wollten, dass ich den Abschluss mache und später dann noch so ein Programm. Ein Community College mit Wohnheim und allem Drum und Dran. Aber ich wollte einfach nur weg von dort.«
»Und du bist nach Nevada gekommen, weil du auf der Suche nach deiner Mom bist?«
»Nein«, sagt er. Er zögert, fährt langsam mit dem Finger das Muster auf der Couch nach. »Aber … weißt du, wo sie ist?«
Am anderen Ende ist ein scharfer Ton zu hören.
»Ich glaube nicht, dass sie weiß, wo sie ist, mein Kleiner. Aber lass mich dir eins sagen – und es hat eine Weile gedauert, bis ich es verstanden habe –, deine Mom hat genau gewusst, was sie getan hat, als sie dich bei mir abgegeben hat. Dir kommt es wahrscheinlich vor, als hätte sie dich einfach ausgesetzt … dass sie dich nicht wollte.« Misty holt tief Atem. »Hör mir genau zu: Deine Mom hat dich geliebt und an einen sicheren Ort gegeben. Das Mädchen hatte schreckliche Stimmungsschwankungen, genau wie deine Großmutter. Man hätte ihr wahrscheinlich mit Medikamenten helfen können, aber da gab es niemanden, der sie zum Arzt geschickt hätte. In der einen Minute war sie himmelhoch jauchzend. In der nächsten am Boden zerstört.«
Will fährt sich mit der Hand durchs Haar. »War sie high?«
Misty seufzt, und wir können hören, dass sie sich auf einen Sessel oder ein Sofa setzt. »Keine Drogen, Will. Das war’s nicht. Es war ihr Gehirn. Das hat nicht richtig funktioniert. Während ihrer Schwangerschaft war sie die ganze Zeit über gut drauf. Hat immerzu gelächelt. So lange an einem Stück habe ich sie nie glücklich gesehen. Ihre Mama, deine Großmutter, war von der Bildfläche verschwunden, und sie hatte das Haus für sich allein und all die guten Hormone … Ich hatte gedacht, die Dinge wären in Ordnung, obwohl sie auf sich allein gestellt ist. Dann hat sie dich bekommen, und es wurde wieder schlimmer.«
Will ballt die Hand zur Faust und
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