Die Geschichte von Zoe und Will
zu fehlen, das er hat.«
»Bei dir klingt das, als wäre es was Schlechtes.«
Seine Worte reißen mich aus meiner Erinnerung. Ich suche nach seiner Hand, verflechte meine Finger mit seinen.
»Ich liebe sie so sehr, Will.« Ich drücke mit der anderen Hand gegen die Fensterscheibe und stelle mir vor, wie meine abgespreizten Finger wie Diamanten einfach durch das Glas dringen, sich mein Arm geradewegs in den klaren Nachthimmel streckt. Wenn ich nur einen dieser so fern leuchtenden Sterne berühren könnte, könnte ich meine Mom spüren, könnte ich sie zu mir zurückbringen, an einen Ort, an dem sie in Sicherheit wäre. Wir würden verschwinden, so wie es hätte sein sollen.
Es war immer meine Bestimmung, zu fliehen. Ich hatte allerdings nie gedacht, dass es so lange dauern würde.
Ich versuche, mein Schluchzen zurückzuhalten, bevor es aus mir herausbricht, aber genauso gut könnte ich versuchen, den Mond zu berühren.
»Ich liebe sie, und ich hasse sie. Ich hasse sie so sehr.« Ich wünschte, ich könnte einfach alles durch das Fenster nach draußen pressen. Ich fühle mich derart gefangen, in diesem Auto, in diesem Leben, in meinem Hass. Ich muss raus, mein altes Ich vergraben und wieder auferstehen, ein anderes Mädchen in einem neuen Körper.
»Ich vermisse sie. Ich hätte sie gebraucht, die ganze Zeit über. Wie konnte sie mich verlassen, wo sie doch genau wusste, wie sehr ich sie brauche? Wusste sie denn nicht, was das mit mir machen würde? Wie ich sie lieben und gleichzeitig hassen, wie ich mich und ihn hassen würde, ja, dass ich so sehr von Hass erfüllt wäre, dass ich es nicht einmal aus mir herausschreien könnte? Ich hasse alles!«
Ich ringe nach Atem, die sandige Luft kratzt in meinem Hals.
Gleich. Gleich bin ich frei, falle in den bebenden Wüstenboden und tauche ein. Dieser Körper ist Sand, eingegraben und festgetreten. Ich gehöre dorthin. Ich schreie, schreie, schreie, ein Schreien voll unendlicher Wut, ein Schreien, das sich unendlich gut anfühlt. Ich schlage mit der flachen Hand gegen die Scheibe und verschlucke mich an meinen Tränen.
»Wie kann es sein, dass wir nicht abgehauen sind? Sie war eine Mutter. Sie sollte sich doch um mich kümmern. Aber das hat sie nicht. Sie hat jedes einzelne Mal versagt, wenn sie ihn damit hat durchkommen lassen. Warum ist sie nicht abgehauen, Will? Warum kann ich nicht aufhören, sie zu hassen?«
»Liebe und Hass sind im Grunde ein und dasselbe.«
»Glaubst du das wirklich? Dass das, was du für mich empfindest, an Hass grenzt? Ich hasse dich nicht. Nicht im Entferntesten.« Ich drehe mich vom Fenster weg, um ihn anzusehen.
»Ich hasse es, dass meine Mom mich verlassen hat.«
Er zieht meine Hand vom Fenster und hält sie fest, schweigend, denn Antworten gibt es keine. Es gibt nur Bewegung. Ich lehne meinen Kopf an seine Schulter, schließe die Augen und sorge mich nicht länger um meine Tränen, die sein T-Shirt durchnässen. Will hält sie aus. Er hält sie aus und wird durch sie stärker.
Aber ich werde nie mehr sein als das, was ich bin. Mein Dad hat mich zu dem gemacht, was ich bin: ein Schwächling, der sich von der kleinsten Brise wegpusten lässt, wie ein Blatt im Wind. Bei ihr war es dasselbe. Und keine Mom sollte das ihrer Tochter antun. Mädchen sollten zusammenhalten und gemeinsam stark sein. Stark wie Stahl, heiter wie das Klingeln eines Windspiels, das schon ein zarter Lufthauch zum Tanzen bringt.
WILL
»ICH MACHE MICH RASCH ein bisschen frisch.« Sie verdeckt ihr Gähnen mit der Hand und schenkt mir ein Lächeln. Es erreicht nicht wirklich ihre Augen, wie es früher mal war, und sie hat dunkle Ringe darunter, die mich an die Dinge erinnern, weshalb wir North Dakota verlassen haben, um sie zu vergessen. Aber das schiebe ich beiseite, weil sie es im Moment nicht braucht, dass ich angepisst bin.
»Okay. Ich warte am Tresen.«
Wir haben versucht zu schlafen, aneinandergekuschelt, mehrere Stunden lang. Richtiger Schlaf war es nicht. Sie hat viel geredet. Und sich viel gewälzt. Aber ich habe ihr übers Haar gestreichelt, bis sie in ihre Träume zurückgeglitten ist. Oder ihre Albträume. Ich koche vor Wut, frage mich, ob ich jemals damit klarkommen werde, ihren Dad am Leben gelassen zu haben. Was wäre das Beste für sie gewesen? Sie wollte nicht, dass ich ihn umbringe. Hat mich regelrecht angefleht. Aber jeder, der meiner Zoe wehtut, verdient es, in die Hölle geschickt zu werden, und das so schnell wie möglich.
Ich stehe eine
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