Die geschützten Männer
Anweisungen des
Wir
zu gehorchen.«
»Ausgenommen das Serum. Und was den Rest betrifft (Bu rage lächelt herausfordernd), welche Engelsgeduld und Überzeugungskraft waren da nötig!«
»Sie erwarten doch nicht etwa von einem Wissenschaftler, daß er gehorchen soll, ohne zu wissen, worum es geht!«
Burage schüttelt ihr mahagonifarbenes Haar.
»Lassen wir Ihre verdammte Wissenschaft beiseite! Es geht um einen Kampf, nicht um Forschungsarbeit. Man kann nicht nur ständig
erklären. Das müßten Sie begreifen. Statt dessen verlangen Sie ein Privileg!«
»Was für ein Privileg?«
»In jedem Augenblick das Warum eines Befehls zu verstehen. Wenn alle Kämpfer einer illegalen Armee dieselben Forderungen wie
Sie stellten, wäre der Kampf unmöglich.«
»Dann danke ich Ihnen, daß Sie sich so geduldig gezeigt haben«, sage ich, nicht gerade freundlich.
»Danken Sie mir nicht, das wird aufhören. Ab jetzt werde ich Ihnen die Befehle des
Wir
ohne ein Wort der Erklärung übermitteln.«
Ich sehe sie mit gemischten Gefühlen an.
»Ich vermute, das Ganze ist lediglich ein langes Vorwort zu einer neuen Forderung.«
»Genau.« Sie sieht mich halb amüsiert, halb unverfroren an und sagt: »Das
Wir
erteilt Ihnen den Befehl, sich einen Schnurrbart wachsen zu lassen.«
»Burage!«
|288| Ich mache mit beiden Händen eine abwehrende Bewegung und denke im selben Augenblick: sie wird sagen, eine italienische Geste.
Ich lege meine Hände auf den Schreibtisch zurück, doch unglücklicherweise zu kräftig, viel zu kräftig, und sie knallen auf
die Platte. Theater! lese ich in ihren Augen.
»Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
»Das ist sehr ernst«, sagt Burage. »Sie nehmen ja wohl nicht an, daß es von mir ausgeht. Oder daß ich mich damit vergnüge,
Ihnen Streiche zu spielen. Ich habe ohnehin nur noch wenig Zeit, mich Ihrer Gesellschaft zu erfreuen.«
Sie hat das in einem so ironischen Ton gesagt, daß ich auf meinem Stuhl wie festgenagelt sitze. Im Handumdrehen erfüllen mich
Zweifel und Bitterkeit. Ich vergesse darüber auf der Stelle diese dumme Geschichte mit dem Schnurrbart. Ich denke nur noch
an Burage. Sicher ist die Bindung zwischen uns nicht so stark, wie ich glaubte, wenn sie unsere Trennung so leichtnimmt.
Gewiß, ich wußte es schon vorher, doch seit ich in Blueville bin, weiß ich es besser. Der Mensch macht den Fehler, die Hälfte
seines Lebens damit zu vertun, daß er in Hoffnung oder in Furcht vor dem kommenden Tag lebt. Ohne jeden Aufschub wird er von
Termin zu Termin gestoßen, und durch das unaufhörliche Warten verliert er seine Fähigkeit, die Gegenwart zu genießen.
Ich habe mir oft folgendes ausgemalt: Wenn die Vorstellung von der Zukunft in einer bestimmten Zone des Gehirns lokalisiert
wäre, könnte die Neurochirurgie vielleicht versuchen, die Gehirnströme in dieser Zone abzuschwächen. Dann würden die täglichen
Ängste, einschließlich der größten Angst – der vor unserem Ende –, nachlassen.
Seit ich in Blueville bin, habe ich buchstäblich nur gewartet: nach meinen Kündigungsschreiben auf die Antworten; während
unendlich langer Wochen auf Anitas Besuch; solange ich hier bin, auf den Erfolg unserer Forschungsarbeit; seit drei Wochen
auf einen zweiten Anruf von Helsingforth; und parallel dazu auf den Tag meiner Flucht.
Wenn diesbezüglich wenigstens die Initiative von mir ausginge, dann wäre ich von den Vorbereitungen in Anspruch genommen.
Aber nein, ich muß, unwissend und passiv, ein Unternehmen |289| abwarten, dessen Einzelheiten, einschließlich des Termins, vom
Wir
geplant werden. Kaum ein Flüchtling war jemals weniger heldenhaft und tatenloser. Mir scheint, daß ich nicht mehr Entscheidungsgewalt
habe als ein Paket, das über die Grenze geschmuggelt werden soll. Der einzige Unterschied – und nicht einmal zu meinen Gunsten
– besteht darin, daß ein Paket keine Angstzustände kennt.
Burage bringt mich aus der Fassung. Sie erteilt mir bezüglich des Serums bestimmte Anweisungen, denen ich entnehmen muß, daß
der Tag meiner Flucht näher rückt. Doch seltsamerweise steigert sich ihre gute Laune in dem Maße, wie wir uns diesem Termin
nähern, als ob sie nach meinem Verschwinden aus Blueville statt Verdächtigungen, Verhören und womöglich Folterungen eine Folge
ununterbrochener Freuden erwartete. Und gleichzeitig kenne ich sie nicht wieder: die ernsthafte, umsichtige, verantwortungsbewußte
Burage, die unübertreffliche Laborantin, die
Weitere Kostenlose Bücher