Die geschützten Männer
herzugeben?
Ich bitte Burage in mein Arbeitszimmer, auch wenn ich von vornherein weiß, was sie mir raten wird. Aber ich will das Gespräch
nutzen, ihr ein paar kurze Fragen zu stellen.
Sie reagiert sofort auf meine über die Sprechanlage erfolgte Aufforderung, obwohl sie in der Rangordnung in zweifacher Hinsicht
über mir steht: infolge des Status, den die Frauen der neuen Ära einnehmen, sowie auf Grund unserer neuen Beziehungen innerhalb
des
Wir.
Sie macht nicht den Eindruck, als pochte sie darauf. Sie tritt ein, angenehm klein, rundlich und bescheiden, schließt geräuschlos
die Tür hinter sich und erwartet, eine als Vorwand dienende Akte unter dem Arm, meine »Instruktionen«.
Ich gebe ihr Mulberrys Brief. Während sie ihn liest, fällt ihr eine Strähne ins Gesicht, die ich am liebsten berühren möchte.
Ich sehe Burage mit neuen Augen an. Ich bemerke keulenförmige Ohrringe, die mir vorher nicht aufgefallen waren. Burage hat
das gleiche mahagonifarbene dichte Haar wie Anita, aber sie ähnelt meiner ehemaligen Frau überhaupt nicht. Sie hat keine grünen,
sondern blaue Augen. Ihre Nase ist nicht spitz, sondern rund. Das Kinn ist ebenfalls rund, aber energisch. Ich fürchte, bisher
zu große Aufmerksamkeit auf ihre hübschen Züge und nicht genügend auf ihren Gesichtsausdruck verwendet zu haben. Im Lichte
des
Wir
bemühe ich mich heute zum ersten Mal, Burage zu »sehen« und nicht nur ihre körperlichen Reize wahrzunehmen. Was mich an diesem
Gesicht überrascht, ist nicht nur die Intelligenz. Die Stirn, die Backenknochen, die Linie ihres |180| Kinns, der Augenausdruck, die Form der Lippen – so füllig und verlockend sie auch sein mögen –, das alles strahlt eine unleugbare
Kraft aus. Gut. Es ist an der Zeit, daß ich die Vorurteile unserer Kultur überwinde und Weiblichkeit künftig mit Kraft in
Verbindung bringe.
Burage gibt mir den Brief zurück und sagt kühl: »Die Tatsache, daß sie eine Assistentin vorgesehen haben, beweist, daß sie
auch bei anderen PMs schon auf Einwände wie bei Ihnen gestoßen sind.«
»Kennen Sie Stiens Einwand?«
»Sicher. Und ich kenne auch Mulberrys Antwort. Stien hat sie gestern bekommen. Ungefähr so: Lieber Prof. Stienemeier, nach
Meinung der Rabbiner, die wir konsultierten, beziehen Sie sich auf den Buchstaben von Kapitel 38 des ersten Buches Mose und
lassen seinen Geist außer acht. Onans Sünde ist die gewollte Unfruchtbarkeit. Der von unseren Einrichtungen vorgesehene Eingriff
vervielfacht dagegen Ihre Fruchtbarkeit, und da Sie verheiratet sind, kann die Manipulation von Ihrer Frau vorgenommen werden.
Die Assistentin hätte dann lediglich das Sperma in Reagenzgläser zu füllen …«
Schweigen. Ich glaube, man könnte das alles in einem anderen Ton sagen, möglicherweise mit einem kleinen Lächeln. Schließlich
ist das Absurde nicht zwangsläufig kafkaesk: es kann auch komisch sein. Denn immerhin, die Konsultation der Rabbiner! … Aber
nein, mit ihrer Akte unter dem Arm, die Hände in Hüfthöhe verschränkt, sieht Burage durch mich hindurch, ohne einen Gesichtsmuskel
zu verziehen. Ihre Kälte greift nach und nach auf mich über. Mit gerunzelten Brauen frage ich:
»Und jetzt?«
»Und jetzt beantworten Sie den Ruf des Vaterlandes mit Ja.«
Sie sagt das, ohne mit der Wimper zu zucken, anscheinend ohne die Ironie der Formulierung zu begreifen.
»Und Stien?«
»Rita wird ihm nahelegen, ja zu sagen.«
»Rita?«
»So nennen wir unsere gemeinsame Freundin.«
Ich blicke sie an: also gehöre ich endgültig dem
Wir
an. Sehe ich mich deshalb plötzlich diesem Eisblock gegenüber? Will sie mir ein für allemal zu verstehen geben, daß ich mich
ihr unterzuordnen habe?
|181| »Burage, ich möchte Ihnen einige Fragen stellen«, sage ich etwas später.
Sie schaut auf ihre Uhr und sagt kurz angebunden: »Ich habe fünf Minuten Zeit. Dann müssen wir unbedingt über diese Akte sprechen.«
»Ich will mich kurz fassen. Wohin führt die Abhöranlage meines Arbeitszimmers?«
»In mein Arbeitszimmer.«
Ich lege eine kurze Pause ein, um meine Fassung wiederzugewinnen.
»Sie können also das Tonband löschen?«
»Wann ich will und wo ich will.«
»Zweite Frage: Wie kommt es, daß Sie das Vertrauen Barrows und seiner Leute haben?«
»Ich bin seit langem in der LIB aktiv.«
Ich fahre hoch.
»Sie sind auch …?«
»Haben Sie sich das nicht denken können?«
»Um die Wahrheit zu sagen, ja.« Nach kurzem Schweigen fahre ich
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