Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)
Erklärung mehr scharfsinnig als gegründet fand. »Ist die Gabe der Sprache der Kleinoden natürlich,« fragte man, »warum warteten sie so lange, sich derselben zu bedienen? Freilich hat Brahma den Weibern eine gewaltige Redesucht eingeflößt; wenn er sich aber deswegen auch erbarmt, ihre Sprachwerkzeuge zu verdoppeln, so bleibt es billig befremdlich, daß sie dieses köstliche Geschenk der Natur so lange verkannten, oder vernachlässigten. Warum sprach jedes Kleinod nur einmal? Warum redeten sie alle nur über einen Gegenstand? Durch welchen Mechanismus geschieht es, daß ein Mund genötigt ist, zu schweigen, wenn der andere spricht? Zudem scheint diese Redseligkeit der Kleinode,« fügte man hinzu, »nach den Umständen zu urteilen, unter denen sie mehrenteils den Mund auftaten, und nach den Dingen, die sie vorbrachten – allerdings unwillkürlich zu sein. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Teile immer stumm geblieben wären, wenn die, welchen sie angehören, ihnen Stillschweigen hätten auferlegen können.«
»Guallonorone hielt es für seine Pflicht, diese Einwände zu widerlegen; und behauptete, die Kleinode hätten von jeher geredet, aber so leise, daß selbst ihre Besitzerinnen sie zuweilen kaum verstehen konnten. Daß sie in unsern Tagen lauter wurden,« sagte er, »ist kein Wunder; denn der Ton unsrer Unterhaltung ist so frei geworden, daß man über Gegenstände, die ihnen geläufig sind, ohne Unbescheidenheit und Beleidigung reden darf. Sind sie aber nur einmal laut geworden, so muß man daraus nicht folgern, daß es zum ersten- und letztenmal gewesen sei. Schweigen und verschwiegen sein, ist ein großer Unterschied. Reden alle nur über einen Gegenstand, so erstrecken sich ihre Begriffe, vielleicht nur auf einen Gegenstand. Die nicht geredet haben, werden wohl noch reden. Schweigen sie aber, so haben sie eben nichts zu sagen, oder sind mangelhaft gebildet, oder es fehlt ihnen an Begriffen und Ausdrücken. Mit einem Worte,« sagte er, »will man annehmen, daß Brahmas Barmherzigkeit den Weibern ein Mittel gewähren konnte, ihrer gewaltigen Redesucht Genüge zu leisten, indem er ihre Sprachwerkzeuge vermehrte, so muß man auch gestehn, daß seine Weisheit den Übeln vorbauen durfte, die aus dieser Wohltat entspringen konnten, und das hat sie dadurch getan, daß der eine Mund genötigt ist, zu schweigen, indes der andre spricht. Ist es nicht schon peinlich genug für uns, daß unsre Weiber alle Augenblicke andern Sinnes werden? Was sollten wir anfangen, wenn Brahma ihnen das Vermögen gegeben hätte, Ja und Nein zu gleicher Zeit zu sagen? Überdem ist uns die Sprache nur verliehen, um uns verständlich zu machen: wie aber sollten die Frauenzimmer, die einander mit einem Munde kaum zu Worte kommen lassen, eine der andern verständlich werden, wenn sie mit zweien redeten?«
Guallonorone hatte vieles beantwortet, aber er glaubte alles beantwortet zu haben, und das hatte er nicht. Man setzte ihm hart zu, und er war in Gefahr, nachgeben zu müssen, als der Naturforscher Cimonaze seine Partei ergriff. Nun wurde aus dem Wortstreit ein Getümmel. Man wich von der Hauptsache ab, man verlor sich, man kam auf das Thema zurück, man verirrte sich von neuem, man ward heftig, man schrie, man schrie und schimpfte, und die akademische Sitzung nahm ein Ende.
Während sich die Akademie mit der Redseligkeit der Kleinode beschäftigte, sprach man in Gesellschaften von nichts anderm, gestern und heute und viele Tage hintereinander. Der Gegenstand war unerschöpflich. Zu der Wahrheit gesellte sich die Lüge. Alles fand Glauben. Ein Wunder machte das andere wahrscheinlich. Die Unterhaltung lebte sechs Monate lang davon.
Der Sultan hatte nur drei Versuche mit seinem Ring angestellt, und doch erzählten sich die Hofdamen der Mamimonbanda, was die Kleinode einer Präsidentin und einer Gräfin gesprochen haben sollten. Die frommen Geheimnisse einer Betschwester waren dadurch an den Tag gekommen; viele Frauenzimmer, die nicht zugegen waren, sollten gleichfalls geplaudert haben, und der Himmel weiß, was man ihren Kleinoden in den Mund legte. Man sparte sogar nicht mit Zötchen. Von Tatsachen schritt man zu Betrachtungen. »Der Zauber,« sagte eine der Damen, »denn ein Zauber liegt auf den Kleinoden, versetzt uns allerdings in eine sehr peinliche Lage. Man muß ja immer besorgen, ein freches Gerede aus sich herausgehn zu hören!« – »Aber, gnädige Frau,« antwortete eine andre, »die Angst nimmt uns an Ihnen wunder.
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