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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Diderot
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durch heftige Aufregung entstellt. Mitleid und Haß, Kummer und Rache, Unverschämtheit und Scham spiegelten sich in ihren Augen, je nachdem sie in ihrem Herzen wechselten. Sie stieß tiefe Seufzer aus, vergoß Tränen, trocknete sie, weinte von neuem, blieb eine Zeitlang mit gesenktem Haupt und niedergeschlagenen Augen, erhob sie wieder und schaute wütend empor. Was tat Mangogul unterdessen? Er sprach leise zu sich selbst: »Alles dies sind Kennzeichen der Verzweiflung. Ihre alte Zärtlichkeit für Kersael ist in ihrer ganzen Stärke wieder erwacht. Sie sieht nicht mehr die Schande, die er ihr antat, und hat nichts vor Augen, als die Strafe, die ihres Liebhabers wartet.« Mit diesen Worten drehte er den Zauberring gegen Fatme, und ihr Kleinod rief heftig:
    »Noch zwölf Stunden, und wir sind gerächt. Der Verräter, der Undankbare muß sterben und sein Blut …« – Fatme erschrak über die sonderbare Bewegung, die in ihr vorging. Die heimliche Stimme ihres Kleinods schreckte sie, sie bedeckte es mit beiden Händen, um ihm die Sprache zu benehmen. Aber die Macht des Ringes fuhr fort zu wirken, das ungelehrige Kleinod stieß jedes Hindernis zurück und sprach weiter: »Ja! wir werden gerächt. O du, der du mich verraten hast, unglücklicher Kersael, stirb! Und Du, die er mir vorgezogen, Bimbreloque, verzweifle! Noch zwölf Stunden. Welch eine lange Zeit? Beflügelt euch, süße Augenblicke, wo ich den Verräter, den ungetreuen Kersael, unter dem Messer der Henker sich verbluten sehen werde! Unglücklicher! Was sag’ ich? Werd’ ich ohne Schauder den Gegenstand meiner innigsten Liebe sterben sehn? Ich soll das verhängnisvolle Messer gezückt sehen? Ach ferne sei von mir der grausame Gedanke. Freilich, er haßt mich, er hat mich verlassen um Bimbreloque. Aber vielleicht wär’ er dereinst … Was sag’ ich vielleicht? Gewiß hätte ihn die Liebe zu mir zurückgeführt. Seine Laune für die kleine Bimbreloque wird vergehen, nicht lange dauern. Früher oder später muß er erkennen, wie ungerecht er war, sie mir vorzuziehen und wie lächerlich, sie zu wählen. Tröste dich Fatme, du sollst Kersael wiedersehen. Ja, du sollst es. Steh auf, eile, fliege, die schreckliche Gefahr abzuwenden, die ihn bedroht. Zitterst du nicht, zu spät zu kommen? Aber wohin soll ich, ich feiges Geschöpf, laufen? Verkündigt mir Kersaels Verachtung nicht, daß er mich auf ewig verlassen hat? Bimbreloque besitzt ihn, für sie sollt’ ich ihn erhalten? Nein, lieber sterb’ er tausendfachen Tod! Lebt er nicht für mich, was kümmert es mich, ob er stirbt? Ja, ich fühl’ es, mein Zorn ist gerecht. Der Undankbare verdient meinen ganzen Haß. Ich kenne keine Reue mehr. Alles tat ich, um ihn zu erhalten, alles tu’ ich, um ihn zu verderben. Noch einen Tag, und meine Rache war verfehlt. Aber sein böser Genius hat ihn mir in dem Augenblicke ausgeliefert, da er mir entrann. Er ist in die Falle gegangen, die ich ihm stellte. Ich hab’ ihn. Die Zusammenkunft, zu der ich dich lockte, war die letzte, die du mir bestimmtest. Du sollst sie sobald nicht vergessen. Wie schlau brachtest du ihn so weit, als du wolltest, Fatme? Wie war deine Unordnung so natürlich? Dein Geschrei, dein Schmerz, deine Tränen, deine Bestürzung, alles, sogar dein Schweigen, verurteilte Kersael. Nichts kann ihn dem Schicksal entreißen, das seiner wartet. Kersael stirbt. Du weinst, Unglückliche? Er liebt eine andre, was liegt dir an seinem Leben?«
    Mangogul entsetzte sich vor dieser Rede und drehte den Ring zurück. Fatme erholte sich, er flog zur Sultanin. »Nun, gnädigster Herr?« fragte sie, »was haben Sie gehört? Ist Kersael noch immer schuldig? Und die keusche Fatme …?« »Erlassen Sie mir, bitt’ ich, Ihnen die Greuel zu wiederholen, die ich vernahm. Wie fürchterlich ist ein aufgebrachtes Weib? Wer sollte glauben, daß ein Körper, von den Grazien gebildet, ein Herz verschließen könne, das die Furien verhärteten? Aber die Sonne soll morgen nicht über meinen Staaten untergehn, ohne daß ich sie von einem Ungeheuer befreie, das gefährlicher ist als die, welche meine Wüsten erzeugen!« Sogleich ließ der Sultan den Groß-Seneschall rufen, befahl ihm, Fatme gefangenzunehmen, Kersael in ein Gemach des Serails zu bringen und dem Senat zu verkünden, daß Seine Hoheit sich die Erkenntnis in dieser Sache vorbehalte. Noch in der nämlichen Nacht wurden seine Befehle erfüllt.
    Den andern Morgen begab sich der Sultan mit Tagesanbruch, begleitet vom

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