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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Diderot
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ihrerseits war weit entfernt, Gunstbezeigungen einzugestehn, und wollte nicht einmal einen Schimmer von Hoffnung gegeben haben. Sie behauptete, die hartnäckige Anhänglichkeit an ihre Pflicht, der sie nie das mindeste vergeben, habe Kersael ohne Zweifel dahin gebracht, ihr das gewaltsam zu entreißen, was er durch Verführung zu erhalten verzweifeln wußte; die Aussage der Matronen war gleichfalls ein schreckliches Aktenstück. Man durfte sie nur durchlesen und mit den Verfügungen des Strafgesetzbuches zusammenhalten, um das Verdammungsurteil des unglücklichen Kersael darin zu finden. Weder seine Verteidigung, noch der Einfluß seiner Familie ließen ihn Erbarmung hoffen, und die Obrigkeit hatte das Endurteil seines Rechtshandels auf den dreizehnten des Monats Regeb festgesetzt. Man hatte es sogar dem Volke, wie gewöhnlich, mit Trommelschlag angekündigt.
    Man sprach viel über diese Begebenheit, die Meinungen waren lange darüber geteilt. Einige alte Vetteln, die keine Notzüchtigung jemals zu befürchten hatten, schrien, Kersaels Frevel sei unverzeihlich. Wenn man da nicht ein strenges Beispiel gebe, so werde die Unschuld nie mehr sicher sein, und eine ehrliche Frau laufe Gefahr, sogar noch an den Füßen des Altars beschimpft zu werden. Dann zählten sie Fälle auf, wo unverschämte Jünglinge die Tugend achtungswürdiger Damen anzugreifen gewagt hätten. Aus den näheren Umständen ersah man, sie selbst wären zweifelsohne die achtungswürdigen Damen, von denen sie sprachen. Alle diese Reden führten Betschwestern, so sittsam wie Fatme, mit Brahminen, die weniger unschuldig waren als Kersael: das nannten sie eine erbauliche Unterhaltung.
    Hingegen die Stutzer, und sogar einige Stutzerinnen, waren der Ansicht, Notzucht sei ein Hirngespinst. Man ergebe sich immer nur unter gewissen Bedingungen, und wenn ein Platz noch so schlecht verteidigt werde, so sei es ganz unmöglich, ihn mit Gewalt zu erobern. Beispiele unterstützten diese Grundsätze. Die Weiber wußten so viele solche Beispiele, die Stutzer erfanden sie, und man führte unzählige Frauen an, die nicht vergewaltigt worden wären. »Armer Kersael!« rief man. »Was Teufel fiel ihm ein, sich in die kleine Bimbreloque zu vergaffen?« so hieß die Tänzerin. »Warum blieb er Fatme nicht treu? Sie standen so gut miteinander, und der Mann ließ sie ihres Weges gehen, daß es eine wahre Freude war.« »Die Hexen, die Hebammen,« setzte man hinzu, »haben ihre Brillen schief aufgesetzt und nicht die Bohne gesehen. Denn wer vermöchte dort klar zu sehen? Und die Herren Senatoren wollen ihm seiner Freude berauben, weil er eine offne Tür eingerannt hat. Es wird dem armen Jungen das Leben kosten. Daran ist kein Zweifel. Wozu wird von nun ein mißvergnügtes Weib nicht berechtigt sein?« »Findet die Operation statt,« setzte ein andrer hinzu, »so werd’ ich Freimaurer!«
    Der Sultan spottete über Kersaels künftigen Zustand. Mirzoza, von Natur mitleidig, stellte ihm vor, daß, wenn auch die Gesetze gegen Kersael sprächen, der gesunde Menschenverstand doch nicht für Fatme sei! »Es ist übrigens unerhört,« fuhr sie fort, »daß eine weise Regierung sich so sehr an den Buchstaben der Gesetze bindet, daß die bloße Aussage einer Klägerin genügt, das Leben eines Bürgers in Gefahr zu bringen. Die Wirklichkeit der Notzüchtigung könne nicht strenge genug bewiesen werden, und Ihre Hoheit müssen gestehn, über diese Tatsache mag Ihr Ring wenigstens ebensogut entscheiden, als Ihre Räte. Es wäre doch sonderbar, wenn sich die Hebammen besser auf diesen Punkt verständen, als die Kleinode selbst. Bis hieher, gnädigster Herr, hat Ihr Ring fast nur dazu gedient, Ihre Neugier zu befriedigen. Sollte der Genius, von dem Sie ihn erhielten, keinen erhabenern Zweck damit gehabt haben? Fürchten Sie etwa, Cucufa zu beleidigen, wenn Sie ihn gebrauchen, die Wahrheit zu entdecken und Ihre Untertanen glücklich zu machen? Versuchen Sie es immer! Sie haben ein unfehlbares Mittel in Händen, Fatme das Geständnis ihres Verbrechens oder den Beweis ihrer Unschuld zu entlocken.« »Sie haben recht,« antwortete Mangogul, »Sie sollen Ihren Willen haben.«
    Sogleich machte sich der Sultan auf. Es war die höchste Zeit. Denn dies geschah den zwölften Regeb abends, und am dreizehnten sollte der Senat entscheiden. Fatme hatte sich soeben niedergelegt, ihre Vorhänge standen offen. Ein Nachtlicht warf seinen traurigen Schimmer auf ihr Gesicht. Sie schien dem Sultan schön, obwohl

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