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Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Die geschwätzigen Kleinode (German Edition)

Titel: Die geschwätzigen Kleinode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Denis Diderot
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langsam fortzuschleichen, er sah hundertmal nach der Uhr, endlich kam der entscheidende Augenblick, und der Hofmann begab sich zu seiner Geliebten. Es war spät, ihn aber ließ man zu jeder Stunde vor, und so ward ihm Fulvias Gemach geöffnet. »Ich erwartete Sie nicht mehr,« sprach sie zu ihm, »und mußte mich mit Kopfschmerzen niederlegen, die ich meiner Ungeduld über Sie zu danken habe.« »Gnädige Frau,« antwortete Selim, »Pflichten des Standes und sogar Geschäfte haben mich bis jetzt an den Großherrn gleichsam gefesselt und mir, seit ich Sie nicht mehr sah, keinen Augenblick für mich gelassen.« »Darüber,« erwiderte Fulvia, »hab’ ich vieles ausgestanden. Wissen Sie, daß ich in zwei langen Tagen nichts von Ihnen gewahr ward?« »Es ist Ihnen ja bekannt,« erwiderte Selim, »wozu mein Rang mich verpflichtet, wie sicher uns auch die Gunst der Großen scheinen mag …« »Wie das?« unterbrach ihn Fulvia, »ist der Sultan kühl gegen Sie geworden? Sollte er Ihre Dienste vergessen haben? Sie antworten mir nicht, Selim? Sie sind zerstreut? O wenn Sie mich lieben, was liegt Ihnen an der Gunst oder Ungunst des Fürsten? Nicht in seinen Augen, sondern in den meinen liegt ja Ihr Glück, und in meinen Armen sollen Sie es suchen.«
    Selim hörte seiner Geliebten aufmerksam zu, beobachtete ihr Gesicht und erforschte in ihren Bewegungen jenen Ausdruck von Wahrheit, der nicht betrügt und dem es unmöglich ist, zu heucheln. Unmöglich nämlich für uns Männer. Denn Fulvia heuchelte so vortrefflich, daß Selim anfing, sich Vorwürfe darüber zu machen, wie er sie verkannt habe. Da trat Mangogul herein. Fulvia schwieg sogleich, Selim seufzte, und das Kleinod sprach: »Meine gnädige Frau mag zu allen Pagoden von Congo wallfahrten, sie wird nie Kinder bekommen, und ich, die ich ihr Kleinod bin, weiß auch sehr wohl warum.«
    Bei diesem Eingange ward Selim totenblaß. Er wollte aufstehen, aber seine zitternden Knie versagten ihm den Dienst, und er fiel auf seinen Lehnstuhl zurück. Der Sultan näherte sich ihm unsichtbar und sagte ihm ins Ohr: »Haben Sie genug?« »Ach, gnädiger Herr,« rief Selim betrübt, »warum bin ich dem Rat der Sultanin und der Ahnung meines Herzens nicht gefolgt? Mein Glück verschwindet. Ich hab’ alles verloren. Bleibt ihr Kleinod jetzt stumm, so sterb ich, spricht es, so bin ich tot. Doch es spreche nur. Ich mache mich auf eine schreckliche Enthüllung gefaßt, aber ich fürchte sie weniger, als ich den Zustand hasse, worin ich mich gegenwärtig befinde.«
    Unterdessen war Fulvias erste Bewegung gewesen, die Hand auf ihr Kleinod zu legen und ihm den Mund zuzuhalten. Was es bis dahin gesprochen, vertrug eine vorteilhafte Deutung, aber sie scheute, was noch kommen würde. Schon war sie seines Stillschweigens wegen etwas beruhigt, als der Sultan, durch Selim aufgefordert, seinen Ring drehte. Fulvia war daher genötigt, ihre Finger wegzunehmen und das Kleinod fuhr fort:
    »Ich kann nicht empfangen, man ermüdet mich zu sehr. Der Besuch so vieler heiligen Leute vereitelt alle meine Absichten, und die gnädige Frau bekommt keine Kinder. Würde ich nur von Selim gefeiert, so möcht’ ich vielleicht fruchtbar werden, aber ich bin ja wie eine Galeerensklavin. Heute ist es der, morgen jener, und immer wird gerudert. Welchen Mann Fulvia zuletzt sieht, von dem glaubt sie immer, der Himmel habe ihn ausersehen, ihr Geschlecht zu verewigen. Vor dieser Laune ist niemand sicher. Wie beschwerlich ist es doch, Kleinod bei einer adligen Dame zu sein, die keine Erben hat? Seit zehn Jahren bin ich Leuten preisgegeben, die nicht wert waren, die Augen zu mir emporzuheben.«
    Jetzt glaubte Mangogul, Selim habe genug gehört, um von seiner Fassungslosigkeit geheilt zu werden, er schenkte ihm das übrige, drehte seinen Ring zurück, ging fort und überließ Fulvia den Vorwürfen ihres Liebhabers.
    Anfangs blieb der unglückliche Selim wie versteinert; bald aber gab ihm die Wut Kraft und Sprache wieder. Er warf einen verächtlichen Blick auf die Ungetreue und sagte: »Undankbare! Treulose! liebte ich Sie noch, so würde ich mich rächen, aber Sie sind meines Zornes ebenso unwürdig, als Sie es meinen Zärtlichkeiten waren. Pfui über Sie, daß Sie einen Mann wie mich, einen Selim, in einen Topf werfen mit solchen Knechten!« »Wahrhaftig,« unterbrach ihn trotzig Fulvia im Tone einer entlarvten Dirne, »es steht Ihnen fein, von einer Kleinigkeit so viel Aufhebens zu machen! Sie sollten mir lieber Dank wissen,

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