Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
Vom Netzwerk:
daß die Wohnung und daß sie selber auf Zarnkeeinen günstigen Eindruck gemacht hat. Soll er also auf Markus schimpfen, sie verkneift sich ihre treffenden Antworten. Stieke, stieke, sie wird den guten Eindruck nicht verderben. Vielleicht sagt er dann nicht ganz so ungünstig aus.
    Die beiden Herren sind alles in allem recht befriedigt. Nur eines stört sie, der Schwager erklärt es mit Nachdruck: der Fleck an der Wand. Sie prüfen nach, wie tief er herunterreicht. »Sie gestatten«, sagt höflich Herr Zarnke und hebt das Bild »Spiel der Wellen« ein wenig weg. »Das ist ja ein Skandal, wie man das hat verkommen lassen. Ein schönes Bild übrigens.« Daß er das Bild anerkennt, veranlaßt Frau Wolfsohn, sich wegen des Fleckes zu rechtfertigen. Herr Krause, erklärt sie, habe ihrem Mann immer versprochen, das richten zu lassen; aber dann habe er sich gedrückt, weil sie Juden seien. »Nun ja«, sagt Zarnke, »das ist verständlich. Aber wenn wir kommen, muß das natürlich anders werden.« Dann schaut er das Ganze noch einmal an, wohlgefällig, mit einem umfassenden Blick. Und »Auf Wiedersehen«, sagt er, und sie gehen ab, nicht so dröhnend, wie sie kamen.
    Den Tag darauf hatte Frau Wolfsohn einen anderen Besuch, für ihr äußeres Schicksal vielleicht weniger wichtig, aber voll tiefer Bedeutung für ihr Innenleben. Sie erhielt nämlich eine Zustellung mit der blauen Siegelmarke des Amtsgerichts II, Berlin SW. Die Zustellung war eine Klage des Dentisten Schulze auf Zahlung des Betrags von fünfundzwanzig Mark, Restschuld für zahnärztliche Behandlung, nebst den entstandenen Mahnkosten.
    Frau Wolfsohn starrte auf das gedruckte Formular, in das nur wenige Worte und Ziffern mit der Schreibmaschine eingefügt waren. Ihr Mann Markus hatte sie also beschwindelt, hatte sich die Brücke auf eigene Rechnung anfertigen lassen, hatte Geld vor ihr verheimlicht. Abgründe taten sich auf. Ein Mann, der seine eigene Frau so schamlos betrügt und das Geld seiner Kinder, nur um seine Zähne zu vergolden, aus purer Eitelkeit zum Fenster hinauswirft, ist zu allem imstand. Aufgewühlt saß sie. Vielleicht hat er wirklich heimlich umstürzlerischePolitik getrieben, vielleicht ist etwas daran, daß er in den Reichstagsbrand mit hineinverwickelt war. Und der billige Bettüberzug, den er ihr zu Weihnachten geschenkt hat, das war natürlich auch Schwindel. Er hat viel mehr bezahlt, als er ihr vorgemacht hat. Woran soll sie noch glauben? Aber diese Anfechtungen hinderten nicht, daß sie sich auch weiterhin mit der gleichen Heftigkeit wie früher für ihren Markus betätigte.
    Die Klage des Dentisten Schulze hatte übrigens einen zweiten Besuch Herrn Zarnkes zur Folge. In dem Häuserblock an der Friedrich-Karl-Straße gab es keine Geheimnisse. Man wußte sogleich, daß Frau Wolfsohn in Zahlungsschwierigkeiten war, man übertrieb, man faselte vom Besuch des Gerichtsvollziehers. Dabei brauchte sie doch nur den Betrag von der Bank abzuheben. Wie immer, Herr Zarnke hatte von dem Zahlungsbefehl gehört und war zur Stelle. Er machte keine langen Umschweife. Es war ja nun doch wohl so gut wie sicher, daß er, daß heißt sein Schwager Zilchow, die Wohnung in kurzer Zeit übernehmen wird. Da wäre es schade, wenn Frau Wolfsohn die Möbel, die zum Teil sehr passend seien, an andere zu Schleuderpreisen abgäbe. Er sei bereit, ihr einen gewissen Betrag auf die Möbel vorzustrecken oder auch einige der Möbelstücke zu erwerben mit der Maßgabe, daß sie sie bis zum Auszug benützen könne. Sie sei ja eine propere Frau und werde darauf sehen, daß die Möbel, die einem andern gehören, ordentlich behandelt und geschont würden. Frau Wolfsohn, um ihn nicht zu verstimmen, sagte nicht glatt nein. Herr Zarnke betonte noch, viel könne er aber dafür nicht anlegen. Deutschland sei von den Juden und den Kapitalisten ausgesogen; Leute wie er und sein Schwager könnten sich Möbel wie diese nur knapp leisten.
    Daß Deutschland von den Juden und Kapitalisten ausgesogen werde, war Herrn Zarnkes Meinung von jeher. Aber er hatte gehofft, der Führer werde da sehr rasch Abhilfe schaffen; diese Hoffnung war der Grund gewesen, aus dem er unter die völkischen Landsknechte gegangen war. Allein nunwaren schon drei Monate vergangen, seitdem der Führer die Macht übernommen hatte, und immer noch hatte sich nichts geändert. Herr Zarnke wurde ungeduldig, mehr als ungeduldig. Alle in seiner Abteilung wurden es. In vielen Städten des Reichs begannen die Landsknechte zu

Weitere Kostenlose Bücher