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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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meutern. Man hat dem Führer zur Macht verholfen, aber nun stellt sich heraus, daß die Wirtschaft der neuen Bonzen noch schlimmer ist als die, gegen die man aufstand. Ein paar frühere Reiche hat man enteignet. Aber ihr Geld ging nicht an die Massen; die andern Reichen und die völkischen Führer verteilten es unter sich. Der Reichspräsident bekam ein neues Gut zu dem alten, der preußische Ministerpräsident wurde ein reicher Mann, und Herr Pfanz, der Präsident des großen Versicherungskonzerns, wurde Wirtschaftsminister. Das wäre ja gelacht, wenn man sich dafür so angestrengt hätte. So sprach man in der Abteilung des Herrn Zarnke. Er als Truppführer hätte die Pflicht gehabt, solche Reden zu melden, aber er tat es nicht. Auch die andern Truppführer taten es nicht. Ja, Herr Zarnke, wohl auch unter dem Eindruck der Wohnung und der Persönlichkeit Frau Wolfsohns, begann seine gesamten politischen Anschauungen zu revidieren. Wenn es um die Wirtschaftsversprechungen des Führers so faul stand, dann stand es wohl auch um anderes in seinem Programm faul. Vielleicht waren gar nicht die Juden an allem schuld. Vielleicht hat Herr Wolfsohn gar nicht den Krieg gemacht, und wenn er auch in der fraglichen Nacht nicht zu Hause war, so war er doch vielleicht am Reichstagsbrand nicht beteiligt. Mehr und mehr bemächtigten sich solche rebellischen Anschauungen der einfachen Seele des Sturmtruppführers Rüdiger Zarnke.
    So war er nicht einmal sonderlich empört, als eines Mittags Herr Wolfsohn unvermutet wieder in der Friedrich-Karl-Straße erschien. Etwas blaß, schmächtiger als sonst, aber im übrigen keineswegs gedemütigt und zerdrückt.
    Frau Wolfsohn, als Markus in der Tür stand, gab ihrer Freude nicht weniger laut Ausdruck als ihrer Empörung über die Leiden, die er hatte ausstehen müssen; sie nahm keineRücksicht darauf, ob man sie nebenan hörte oder nicht. Geschäftig lief sie hin und her. Er mußte sogleich ein warmes Bad haben; dann holte sie Essen ein, und während sie es bereitete, ließ sie die Tür zur Küche auf, und er saß in dem schwarzen Ohrensessel, und sie unterhielt sich mit ihm. Er war selig, heimgekehrt zu sein, er saß da und schaute und hörte und sprach nicht viel.
    Sie sah zu, wie er mit gutem Appetit aß, noch und noch, und es tat ihr nur ganz wenig leid, was das kostete. Eigentlich hatte sie die Absicht, ihre Klage gegen ihn in der Brust zu bewahren, bis er mit dem Essen fertig sei; aber da er sehr lange brauchte, hielt sie es nicht aus, und als er das Schnitzel mit Ei vollkommen verzehrt hatte und sich an den Käse machte, fing sie an, von dem ungeheuren Betrug zu reden, den er an ihr und den Kindern begangen habe. Er verteidigte sich kaum. Er aß den Käse, langsam, mit Genuß, zerknirscht dabei, doch nicht sehr.
    Er war innerlich viel härter geworden. Er hatte den Entschluß gefaßt, nach Palästina zu gehen. Er war klein und nicht sehr kräftig. Aber wer, verdächtigt der Brandstiftung am Reichstag, ein paar Wochen Untersuchungshaft unter dem Regime der Völkischen mitgemacht und sie so überstanden hat wie er, der wird wohl auch noch fähig sein, Hebräisch zu lernen und sich in Palästina als Bauer niederzulassen. Frau Wolfsohn lachte ihn einfach aus. Aber Herr Wolfsohn blieb fest. Sprach vom Schicksal, las viel in der Bibel, las im Lesesaal der Jüdischen Gemeinde, was er über Palästina finden konnte, ging, mit Empfehlungen Martin Oppermanns und Briegers, zu hundert Leuten, um sich die Einwanderungssumme zu beschaffen, betrieb nicht überhastet, aber mit Eile den Aufbruch.
    Vernachlässigte dabei nicht seine Pflichten im Möbelhaus Oppermann, von dem Packer Hinkel mit Haß, doch mit einer gewissen Bewunderung betrachtet, weil es ihm geglückt war, den Klauen der Völkischen wieder zu entrinnen. Der Packer Hinkel sah ein, daß offenbar selbst die völkische Bewegungzu schwach war gegen die jüdische Weltverschwörung. Es gelang den fünfundsechzig Millionen Deutschen nicht, diesen einen Markus Wolfsohn von seinem Posten zu vertreiben.
    Herr Wolfsohn war weise geworden. Er dachte zurück an die Nächte der Angst, da er kaltschwitzend neben Frau Wolfsohn gelegen war, an die schrecklichen Nächte in der hellbeleuchteten Zelle. Auch gütiger hatten ihn seine Erfahrungen gemacht. Es war ihm nicht einmal eine besondere Freude, als er erfuhr, daß nun Herr Zarnke seinesteils verhaftet worden war, er und seine ganze Abteilung; Reichswehr hatte die Landsknechte überwältigt und sie ins

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