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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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schlimm.
    In der dritten Nacht, Markus Wolfsohn und seine Frau hatten sich früh zu Bett gelegt und waren auch eingeschlafen, kamen sie wirklich. Markus stand schlotternd und dürr in seinem zerknitterten Pyjama. Marie ging besonnen herum, fragte die Leute, was Markus mitnehmen dürfe. Zwischendurch herrschte sie ihn unterdrückt und heftig an: »Ich habe es immer gesagt, wir hätten türmen müssen.« Er war vollkommen verwirrt. Sie veranlaßte ihn, seinen besseren Anzug anzuziehen, weil er wärmer war, packte ihm noch einige Kleinigkeiten ein. Die Kinder standen verstört herum. Die Polizisten sagten, man solle sie doch wieder ins Bett bringen und schlafen lassen. Sie waren höflich, geradezu freundlich, drängten auch nicht, es waren wirkliche Polizisten, keine Landsknechte. Als Frau Wolfsohn zum Schluß nun doch zu heulen begann, sagten sie: »Haben Sie keine Angst, meine Dame, Sie kriegen Ihren Mann schon bald zurück.«
    Frau Wolfsohn tat das Ihre, um diese Tröstung wahr zu machen. Sie lief sogleich in die Gertraudtenstraße. Dort war man freundschaftlich besorgt, sie möge überzeugt sein, manwerde tun, was irgend geschehen könne. Sie lief in die Büros der Jüdischen Gemeinde. Auch dort versprach man Hilfe. Sie lief zurück ins Geschäft. Martin selber empfing sie, sagte ihr, man habe völkische Anwälte eingespannt, in diesem Fall wohl die geeignetsten. Sowie man Nachricht habe, was man eigentlich Herrn Wolfsohn vorwerfe, werde er es ihr mitteilen. Frau Wolfsohn kam am Nachmittag wieder, am nächsten Vormittag, am nächsten Nachmittag. Herr Oppermann ist geduldig, Herr Brieger ist geduldig, auch Herr Hintze.
    Am dritten Tag kann man ihr etwas mitteilen. Etwas Phantastisches: Herr Wolfsohn soll an der Brandstiftung im Reichstag beteiligt sein. Marie Wolfsohn war auf alles mögliche gefaßt gewesen. Vielleicht haben sie ihren Markus eingesperrt, weil er dem Schneider bei der Lieferung des letzten Anzuges drei Mark abgezogen hat. Vielleicht hat einer der Ollen Matjes erklärt, Markus habe beim Skat gemogelt. Heute kann ja jeder, der einem Juden nicht grün ist, ihn einsperren lassen. Aber daß man Markus Wolfsohn, ihren Markus, bezichtigte, den Reichstag angezündet zu haben, das warf sie um. Alle Welt weiß doch, daß der Herr Preußische Ministerpräsident den Brand gestiftet hat. Sind sie vollkommen meschugge, daß sie jetzt das Verbrechen ihrem Markus von der Friedrich-Karl-Straße in die Schuhe schieben? Das glaubt doch nicht einmal der jüngste Säugling von der Hitlerjugend. Fassungslos schrie sie im Chefkontor in der Gertraudtenstraße herum. Erschreckt suchten Martin Oppermann und Herr Brieger sie zu beschwichtigen. Sie erklärten ihr, die ungeheuerliche Absurdität der Anklage sei ein gewisser Trost; denn auch die Behörden mußten einsehen, daß die Bezichtigung ausgerechnet des Verkäufers Markus Wolfsohn selbst im Rausch der nationalistischen Volksbelustigungen nicht verfangen konnte.
    Dieser Markus Wolfsohn saß mittlerweile in seiner Zelle. Die Zelle war hell und kahl, aber gerade die trostlose, kahle Helligkeit machte sie doppelt schrecklich. Er hatte keine Ahnung, warum er hier saß, und sie sagten es ihm nicht. Drei Tage völlig stumm und allein in dem winzigen Raum zuhocken, immer im Hellen, denn auch bei Nacht schien grell die Lampe des Korridors in den Raum, war eine Marter, wie sie für den geselligen, gesprächigen Herrn Wolfsohn nicht grauenvoller ausgedacht werden konnte. Wieder und wieder prüfte er, was er wohl ausgefressen haben könnte. Er fand nichts. Er war, sprach man von Politik, immer stumm geblieben wie ein gebratener Fisch. Zogen völkische Landsknechte vorbei, dann streckte er eifrig den Arm aus auf altrömische Art, so gut er es konnte, und schrie »Heil Hitler«. Er war nicht musikalisch, es dauerte lange, bis er das Horst-Wessel-Lied von den vielen ähnlichen Matrosen- und Hafenliedern wegkannte; vorsichtshalber also war er, sowie er irgendeine solche Melodie hörte, sogleich aufgesprungen und hatte sich stramm hingestellt. Was also um Gottes willen warf man ihm vor?
    Sie sagten es ihm nicht. Dreimal vierundzwanzig Stunden ließen sie ihn allein sitzen, stumm. Eine ungeheure, graue Hoffnungslosigkeit füllte ihn ganz aus. Selbst wenn sie ihn einmal wieder herauslassen, er wird immer verloren sein. Wer soll heute einen jüdischen Verkäufer einstellen, der von den Völkischen eingesperrt war? Arme Marie, dachte er. Wie gut wäre es für sie gewesen, sie wäre Mirjam

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