Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]
beschäftige, welche Zeitungen er gelesen habe. Eigentlich war das Verhör ganz gemütlich, ja, Herr Wolfsohn freute sich, nach so langer Zeit einmal wieder sprechen zu dürfen. Wo und wie er seine Abende verbracht habe, fragte jetzt der Richter, insbesondere in der zweiten Hälfte Februar. Um diese Zeit war Herr Wolfsohn schon nicht mehr zu den Ollen Matjes gegangen, er gab wahrheitsgemäß an, da sei er immer zu Hause gewesen. »Immer?« fragte der Richter. Er hatte eine dünne Stimme,und am Ende einer Frage kletterte sie zuweilen ganz hoch. Wolfsohn dachte nach. »Jawohl, immer«, sagte er. Ein Mann mit einer Schreibmaschine war da, und der Richter ließ alles protokollieren. »Sie waren also auch in der Nacht vom 27. zum 28. Februar zu Hause?« fragte der Richter. »Ich glaube, ja«, sagte zögernd Wolfsohn. »Was haben Sie denn an diesem Abend getrieben?« wurde er weiter gefragt. Wolfsohn dachte scharf nach. »Das kann ich wirklich nicht mehr genau sagen. Gewöhnlich haben wir gegessen und uns eine Zeitlang unterhalten. Dann habe ich wohl noch die Zeitung gelesen und ein wenig Radio gehört.« – »An diesem Abend müssen Sie das aber alles ungewöhnlich leise getan haben«, meinte der Richter.
In Wolfsohn dämmerte ein Zusammenhang. Aha, Zarnke, es war Zarnke. Zarnke hat ihn ausspioniert. Aber sie können doch nur an ihn heran, wenn er was gesagt, nicht, wenn er nichts gesagt hat. Nochmals überlegte er scharf. In der Nacht vom 27. zum 28. Holla! Am 28. Februar ist Moritz Ehrenreich nach Marseille gefahren, das war an einem Dienstag, und am Abend vorher haben sie mit Moritz Abschied gefeiert. Natürlich, an diesem Abend war er nicht zu Hause gewesen. Und, aufleuchtend geradezu, sagte er zu dem Richter: »Entschuldigen Sie, Herr Richter. Sie sollen recht haben. An dem Abend war ich wirklich nicht zu Haus. Da habe ich Abschied gefeiert mit meinem Schwager, einem gewissen Herrn Ehrenreich, der am Tag darauf wegfuhr, vom Bahnhof Friedrichstraße, ich konnte nicht mehr an die Bahn. Wir waren in der ›Butterblume‹, einer Destillation an der Oranienstraße. Klein, aber sehr anständig. Mit vorzüglicher Bockwurst, Herr Richter. Das war das Lieblingslokal meines Schwagers.« – »Jetzt behaupten Sie also, Sie seien in der fraglichen Nacht mit Ihrem Schwager zusammengewesen?« fragte nochmals der Richter. »Ja, so ist es«, erklärte Wolfsohn. Alles wurde protokolliert.
Wieder in seiner Zelle, wußte er immer noch nicht, was eigentlich man von ihm wollte. Aber soviel wußte er, nicht derPacker Hinkel war schuld und nicht der Olle Matjes Schulze. Und daß nicht diese beiden schuld waren, sondern Herr Zarnke, jener Zarnke, dem er von jeher alles Böse zugetraut hatte, war ihm eine gewisse Befriedigung.
Frau Wolfsohn – sie hatte niemand heraufkommen hören – erschrak, als es plötzlich scharf läutete. Es waren zwei Männer in brauner Uniform. Aber es waren nur Herr Zarnke und noch einer.
Herr Zarnke dröhnte herein. Eigentlich hätte er es nicht nötig, sich zu entschuldigen; aber, Mann der Ordnung, der er ist, erklärt er, der Hausverwalter habe ihn aufgefordert, sich die Wohnung einmal anzusehen. Frau Wolfsohn erwidert nichts. »Bitte«, sagt sie.
Herr Zarnke und der andere, es ist natürlich sein Schwager, Herr Zilchow, besichtigen also die Wohnung. Frau Wolfsohn hält sich schweigsam, reserviert, in der Nähe der Tür. Sie kennt genau den Zweck des Besuchs. Die Wohnung ist klein, viel zu besichtigen ist nicht, aber die beiden Herren bleiben auffallend lange. Herr Zarnke hat sich vorgestellt, bei Juden sei alles schmutzig, verkommen; jetzt wundert er sich, daß es im Grunde nicht viel anders ist als bei ihm. Ja, er kann nicht umhin festzustellen, daß der Raum geschickter ausgenutzt ist, und so einen großen Sessel hat er sich eigentlich schon immer gewünscht. Frau Wolfsohn selbst, füllig und rotblond, sieht, trotzdem er sie überrascht hat, nicht so vernachlässigt aus wie manchmal Frau Zarnke, wenn man sie überrascht. Herr Zarnke ist ein gerechter Mann. »Ordentlich ist es bei Ihnen«, konstatiert er, »das muß man Ihnen lassen, trotzdem Ihr Mann ein Vaterlandsverräter ist.«
»Vaterlandsverräter?« sagt Frau Wolfsohn. »Sie sind wohl nicht bei sich«, sagt sie. Sie hätte noch viel mehr zu sagen, einiges recht Kräftige, Treffende. Aber sie ist nicht dumm, und seitdem sie ihren Mann weggeholt haben, ist sie doppelt klug geworden. Sie weiß, Schweigen ist immer das Klügste. Sie hat gemerkt,
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