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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Ehrenreich geblieben, statt Marie Wolfsohn zu werden. Dann säße sie jetzt vermutlich bei ihrem Bruder Moritz, schaute sich sportliche Veranstaltungen an, hätte zu leben, und dahinter sind Palmen und Kamele. So aber ist sie mit einem Vaterlandsverräter verheiratet und hat Kinder von einem reißenden Wolf. Wenn er sich wenigstens die neue Fassade nicht zugelegt hätte. Dann wären jetzt fünfzig Emm mehr auf der Bank. Ein Glück nur, daß er dem Ollen Matjes Schulze nicht das Ganze bezahlt hat. Das heißt, holla, vielleicht hat gerade der ihn angezeigt, wegen des Restes, zweimal hat er ihn schon gemahnt. Plötzlich hat er wieder die etwas angetrunkene Stimme Augusts im Ohr: »Du hast Dusel, wenn wir dich im Sommer überhaupt noch mit in die Karre nehmen.« Es ist eine Gemeinheit. Er hat am meisten in die Kasse eingezahlt, und jetzt, beider Herrenpartie am Himmelfahrtstag, machen die andern Schabbes von seinem Geld.
    Solange Herrn Wolfsohns Gedanken sich um solche Dinge drehen, hat er gute Zeit. Aber es gibt Stunden, da er nichts spürt als Angst, eine entsetzliche, vernichtende Angst. Wahrscheinlich wollen sie schreckliche Dinge mit ihm anstellen. Handelte es sich um etwas Kleines, dann hätten sie ihn längst einem Richter vorgeführt. Er erinnert sich an gewisse Reden des Führers im Radio: der Strafvollzug sei viel zu milde, man müsse wieder die guten, alten Methoden einführen, die Verbrecher öffentlich hängen, ihnen mit einem Beil den Kopf abhauen. Er stellt sich vor, wie man ihn auf einem Karren zum Richtplatz hinausfährt. Der Mann mit dem Beil wird vermutlich einen Frack anhaben. Nie wird er, Markus Wolfsohn, lebendig dort ankommen. Zehnmal vorher wird er vor Angst gestorben sein.
    Er summt vor sich hin, um sich Mut zu machen. Sowie die große Stummheit weg ist, wird es besser. »Moaus zur jeschuosi«, singt er, »Hort und Fels meines Heils.« Er singt unmusikalisch, aber ihm gefällt es. Es ist trostreich, eine Stimme zu hören, wenn auch nur die eigene. Er singt lauter. Da dröhnt einer herein. »Halt’s Maul, Saujud«, schreit man ihn an, und wieder liegt die Zelle kahl, hell, stumm.
    Er hockt jetzt den dritten Tag da. Er ist nicht rasiert, schlecht gewaschen, schweißig, sein Schnurrbärtchen ist verwahrlost. Trotz der neuen Fassade sieht er keineswegs mehr flott aus. Er sitzt stumpf da, seine hurtigen Augen haben alles, was man in dieser Zelle wahrnehmen kann, längst in sich aufgenommen.
    An diesem dritten Tag, plötzlich, faßt ihn eine maßlose Wut. Er erhebt sich, aufrecht steht er da in dem winzigen Geviert, den einen Fuß vorgestellt. Der Staatsanwalt hat gesprochen, er hat ausgeführt, der Angeklagte Markus Wolfsohn sei ein reißender Wolf, er sei schuld, daß der Krieg verloren wurde und daß die Inflation gekommen ist und daß überhaupt das ganze deutsche Volk Pleite machte, und er beantragt gegen ihnTodesstrafe durchs Beil. Nun aber hat er das Wort, Markus Wolfsohn, und da er doch einmal verloren ist, sagt er den Richtern seine Meinung. »Das ist eine ganz gemeine Lüge, meine Herren«, sagt er. »Ich bin ein guter Bürger und Steuerzahler. Ich habe nichts gewollt als meine Ruhe. Bei Tag meine Kunden, abends einmal ein bißchen Skat, und Radio, und meine Wohnung, für die ich pünktlich am Ersten meine Miete zahle. Möbel verkaufen ist doch keine staatsfeindliche Handlung. Nicht ich bin schuld, hoher Gerichtshof. Die mit den Hakenkreuzen sind schuld. Die Herren Zarnke, Zilchow und Co. Und wenn man es auch nicht sagen darf, es ist doch alles wahr, was man von ihnen sagt. Sie haben den Reichstag angezündet, und sie werfen die Leute aus den fahrenden Untergrundbahnen, und dann stellen sie einen Mann im Frack hin, daß er anständigen Leuten den Kopf abhaut. Das ist eine dolle Gemeinheit, meine Herren.« So hielt Herr Wolfsohn Abrechnung mit seinen Gegnern, leider nur in seiner Vorstellung. Der Richter aber, der im schwarzen Talar mit Barett und Krause ihm gegenübersaß, hatte weiße, starke Zähne und rotblondes Haar und war überhaupt Herr Rüdiger Zarnke.
    Am vierten Tag wurde Markus Wolfsohn wirklich dem Richter vorgeführt. Der Richter trug freilich keinen schwarzen Talar, sondern einen gewöhnlichen Zivilanzug. Von der Stange gekauft, konstatierte Herr Wolfsohn. Wahrscheinlich in einem Kettenladen. Das sind aber auch jüdische Geschäfte. Da wird der Mann nicht mehr lange kaufen können. In Zukunft wird er mehr Geld hinlegen müssen.
    Man fragte ihn, ob er sich mit Politik

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