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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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flüssig, nicht zu schnell, nicht zu langsam, in wohlgezirkelten, druckreifenSätzen. Sicherlich hätte er sich mit den Bänden der Bibliothek lieber befaßt als mit den schwatzenden Leuten ringsum. Noch öfter aber als nach den Büchern schielte er nach einer kräftigen, breiten Dame in einem dunklen Seidenkleid, seiner Frau. Er ist unter strenger Aufsicht; hat ihn Frau François für eine Minute verloren, in der nächsten findet sie ihn bestimmt wieder.
    Sie hat es nicht leicht mit ihrem Mann. Der läßt sich gehen, schwatzt immer heraus, was er denkt. Gewiß, im Augenblick scheint es politisch ruhig, aber Frau François traut dem Frieden nicht. Streberische Kollegen haben überall ihre aufmerksamen Ohren, sie bewahren jedes aufgeschnappte Wort gut auf. Sind die Völkischen erst einmal am Ruder, dann kann einen eine heute getane unvorsichtige Äußerung um Amt und Brot bringen. Was wird dann aus ihr und ihren drei Kindern? Für seine Studien über den Einfluß des antiken Hexameters auf Klopstocks Wortgebung zahlt ihm niemand auch nur die Butter aufs Brot. Aber für solche Erwägungen hat der leichtsinnige Mann kein Ohr. Er glaubt immer, wenn man nur eine Äußerung beweisen könne, dann sei alles in Ordnung. Wenn sie ihm auseinandersetzt, daß es heutzutage nicht auf die Richtigkeit einer Behauptung ankommt, und wenn sie dabei ein bißchen drastisch wird, dann schaut er zum Himmel, sanft geärgert, geduldig. »Donnerwölkchen« nennt er sie. Ach, er versteht nicht, daß sie sich nur seinethalb abquält; fürs Praktische hat er keinen Sinn. Frau François verpreßt die Lippen, schaut finster aus. Rektor François schielte hinüber, sah verängstigt sogleich wieder weg. Donnerwölkchen, dachte er.
    François amtierte im Königin-Luise-Gymnasium, dessen Unterprima Martins Sohn Berthold besuchte. Martin trat heran. Er kannte François als einen Herrn von liberalen Anschauungen, mit dem man reden kann. Ja, gab François zu, in den meisten Gymnasien hätten es die jüdischen Schüler jetzt nicht leicht. Aber seinem Institut habe er Politik bisher fernhalten können. Jetzt freilich wolle man ihm einen Oberlehreraus Tilsit zuteilen, vor dem er eine gewisse Angst habe. Er brach ab, unter einem Blick von Frau François, die übrigens seine Äußerung schwerlich gehört haben konnte.
    Jacques Lavendel setzte währenddes seiner Schwägerin Liselotte und seiner Frau Klara seine Theorien weiter auseinander. Klara, wie alle Oppermanns, war breit, untersetzt. Ihr großer, dunkelblonder Kopf mit der schweren Stirn schaute gesammelt aus, eigensinnig, nicht dumm. Als sie sich damals entschloß, den Ostjuden François Lavendel zu heiraten, hatten alle ihr abgeraten. Aber sie hatte sich’s in den Kopf gesetzt. Gerade das, was die andern als manierlos störte, die Unbekümmertheit, mit der er die Ergebnisse seines gesunden Menschenverstandes heraussagte, seine gutmütige Verschlagenheit, alles an ihm zog sie an. Sie redete nicht viel, aber sie hatte entschiedene Ansichten, und wenn es darauf ankam, setzte sie die Ansichten durch. Auch jetzt hörte sie schweigend, mit lächelnder Zustimmung, was Jacques ihr und ihrer Schwägerin Liselotte darlegte. Daß man nämlich jede gefährliche Bewegung jahre-, manchmal jahrzehntelang habe anwachsen sehen, ohne doch die nötigen Konsequenzen zu ziehen. Was er aus der Geschichte gelernt habe, das sei ein großes Erstaunen, daß die jeweils Gefährdeten erst so spät daran dachten, sich in Sicherheit zu bringen. Warum, verflucht noch mal, seien so viele französische Aristokraten so eselhaft gewesen, sich von der Revolution überraschen zu lassen, während doch heute jedem Schuljungen bekannt sei, schon aus den Schriften Rousseaus und Voltaires hätte man Jahrzehnte vorher genau Bescheid wissen müssen.
    Martin Oppermann schaute auf die beiden Frauen, die Jacques Lavendel aufmerksam und amüsiert zuhörten. Liselottens großes Gesicht mit den langen, grauen Augen wirkte doppelt hell neben dem schweren, breiten Kopf ihrer Schwägerin. Frisch und blühend saß sie da, ihr Hals kam weiß, sehr jung aus dem kleinen Ausschnitt des schwarzen Kleides. Schnell, mit ihren großen Zähnen, lächelte sie zu ihm herüber, wandte sich dann aber sogleich wieder Jacques Lavendelzu. Martin war ein wenig eifersüchtig auf den Schwager. Er empfand die Art, wie Liselotte Jacques bejahte, als leisen Vorwurf gegen sich selber. Er weiß schon, die Kraft dieser Ostjuden, ihre hemmungslose Lebensgier. Positive

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