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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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Eigenschaften, gewiß: aber stößt sie denn Jacques’ heisere Stimme nicht ab, seine Penetranz? Die Heiserkeit stammt aus dem Krieg, von einem Streifschuß, der Jacques die Kehle verwundete. Bedauerlich, zugegeben: aber sympathischer wird der Mann dadurch nicht. Wenigstens ihm nicht. Angenehmer ist es natürlich, daß Liselotte Freude an Jacques hat, als wenn sie etwa Anstoß an ihm nähme. Kann man sich eine bessere Ehe vorstellen als die ihre? Vielleicht kommt es daher, daß er so sehr darauf hält, Leben und Geschäft zu trennen. Er spricht in der Corneliusstraße nicht von der Gertraudtenstraße. Warum auch soll sich Liselotte dafür interessieren, ob er einen Stuhl für sechsunddreißig oder für dreiundvierzig Mark verkauft? Schade ist es trotzdem, daß sie sich nicht dafür interessiert. Sie hat die Mitteilung von der Umwandlung der Oppermannschen Filialen in die Deutschen Möbelwerke erfreulich kühl aufgenommen. Schade ist es trotzdem.
    Auch sein Bruder Edgar hat die Sache kühl aufgenommen. Gustav wird es tiefer treffen als Edgar, Jacques, Liselotte. Ein Segen, daß er so viele andere Interessen hat, die ihn ablenken. Gustav ist in Wahrheit liebenswert. Er hat die beiden Prokuristen sicher nur hergebeten, um ihm, Martin, einen Gefallen zu tun. Gustav geht vieles leicht von der Hand, er ist ein Glücklicher.
    Martin gönnt ihm sein Glück. Gönnt auch Edgar Glück und Ruhm von Herzen. Manchen wird es nicht so leicht gemacht. Schön, soll er, Martin, derjenige sein, der es schwerer hat. Er holt seinen Zwicker heraus, putzt an ihm herum, steckt ihn wieder ein. In einer plötzlichen Wallung geht er zu Gustav, rührt ihm leicht den Arm, steuert ihn hinüber zu Klara und Jacques Lavendel. Dann, auf ähnliche Art, holt er Edgar.
    Da sitzen sie zusammen, die Geschwister Oppermann,breit, gefestigt. Es ist eine stürmische Zeit, auch sie haben manchen Guß abbekommen, aber sie können das aushalten, sie stehen fest. Sie und das Bild des alten Immanuel gehören zusammen, sie können bestehen vor dem Bild, seine Farben sind durch sie nicht blasser geworden. Sie haben sich ihren Platz in diesem Land erobert, einen guten Platz: aber sie haben ihn auch gut bezahlt. Jetzt sitzen sie fest hier, zufrieden, sicher.
    Die andern sahen die Familiengruppe, nahmen sie wahr, lösten sich von ihr, so daß die Geschwister Oppermann für sich saßen.
    Vor allem dem Prokuristen Brieger gefiel diese betonte Familiarität. Ihm gefiel jede Art von Solidarität. »Zusammenhalt«, sagte er zu Professor Mühlheim, »darauf kommt es an. Wir Juden halten glücklicherweise zusammen. Wie die Affen. Darum kann uns auch nichts geschehen. Wenn man uns hundertmal den Baum hinunterschmeißt, einer klettert immer wieder hoch, und wir andern, wie die Affen, klammern uns an seinen Schwanz, und er zieht uns mit sich hoch.« Frau Emilie François beneidetet aus ganzem Herzen die Frauen der Oppermanns um den Familiensinn ihrer Männer. Von denen riskiert sicher keiner eine unvorsichtige Äußerung und gefährdet Weib und Kind. Ruth Oppermann schaute aus ihren großen, dringlichen Augen auf den Onkel. Einem Manne, der so deutlich den Zusammenhang mit seiner Familie spürt, wird sie sicher am Ende auch den größeren Zusammenhang klarmachen können, in den er hineingeboren ist.
    Auch Sybil Rauch schaute auf die Gruppe der Oppermanns. Dünn und entschieden stand sie da, ihre Augen blickten böse, bockig unter der hohen, eigensinnigen Kinderstirn, niemand hätte sagen können, das Bild André Greids sei eine Karikatur. Eine merkwürdige Idee von Gustav, seinen Freunden diese Familienszene vorzuspielen. Sentimental. Spießig. Er ist jung für seine Jahre, er sieht gut aus, er liebt sie, und sie mag ihn. Er hilft ihr, er versteht viel von ihren Dingen, sie wüßte kaum, wie sie ohne ihn auskommen soll. Aber, jetzt zeigt es sich, eigentlich ist er doch ein alter, sentimentalerJud. Sie schaut hinüber zu Friedrich Wilhelm Gutwetter, abwägend. Gustav ist zehnmal gescheiter, weltkundiger. Aber der Dichter, großäugig, in seiner verschollenen Tracht, lächerlich und rührend zugleich, ist ganz aus einem Guß. An Gustav ist alles vielfältig, zerspaltet, es sitzt Schicht auf Schicht. Da ist seine Familie, seine Wissenschaft, sein Sport, seine Neigung zu ihr, seine sonderbare Liebe zu dieser gewissen Anna im Hintergrund: wo ist der wirkliche Gustav?
    Gustav selber war vollkommen glücklich. Er hatte getrunken, nicht zuviel, das tat er nie, aber genug, um sich

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