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Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2]

Titel: Die Geschwister Oppermann - Wartesaal-Trilogie: [2] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feucht Wanger
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bis zum Jüngsten Gericht. Wenn er noch fünfunddreißig Jahre zu leben hat, reduzieren sich die Ausgaben auf zirka zwei Mark pro Jahr, mit Zins und Zinseszins auf zirka acht Mark. Vier Mark fünfundsiebzig sind eine schöne Prämie, und er hat sieben Prämien in diesem November verdient. Die Chose mit der Brücke würde sechs oder sieben Sitzungen erfordern. Vor Weihnachten kann er schon aus Zeitgründen nicht daran denken, sich einer so langwierigen Behandlung zu unterziehen. Fein wäre es schon, sich die Fassade einmal neu richten zu lassen.
    Im übrigen ist sich Herr Wolfsohn klar darüber, daß er nicht seinem Aussehen seine Erfolge in Leben und Beruf verdankt. Er hat sie dem Schicksal durch Talent und zähe Energie abgezwungen. Er hat den Dienst am Kunden aus dem Effeff studiert. Vor allem darf man sich keine Mühe verdrießen lassen. Nur keine Pleite machen. Nur keinen Kunden gehen lassen, auch wenn er noch so quengelig ist. Die Oppermannschen Lager sind reichhaltig. Wenn der Kunde zwanzig Stücke abgelehnt hat, man findet immer noch ein einundzwanzigstes. Nur keine Müdigkeit vorgeschützt.
    Herr Wolfsohns Stullen sind zu Ende, aber er darf sich in Anbetracht der vier Mark fünfundsiebzig heute noch einen Mohrenkopf mit Schlagsahne genehmigen. Er bestellt ihn.
    Einen Augenblick wird die Vorfreude darauf getrübt durch eine Nachricht seiner »BZ«. Mit Entrüstung liest er, daß Nationalsozialisten einen jüdisch aussehenden Herrn aus der fahrenden Untergrundbahn werfen wollten, weil er angeblich ein angewidertes Gesicht machte, als sie beim Absingen ihrer Hymne an die Verse kamen: »Wenn’s Judenblut vom Messer spritzt, / Dann geht’s noch mal so gut.« Aber sie waren aneinen kräftigen Herrn geraten, die andern Passagiere halfen ihm, die Rowdys konnten ihr Vorhaben nicht ausführen, sie wurden vielmehr, wie die Zeitung mit Befriedigung konstatiert, von der Polizei festgenommen und sehen ihrer Bestrafung entgegen.
    Herr Wolfsohn liest die Nachricht mit Unbehagen.
    Doch das Unbehagen hält nicht vor. Es ist ein vereinzelter Übergriff; im ganzen sieht die politische Lage befriedigender aus als seit langem. Reichskanzler Schleicher hält die Völkischen mit fester Hand nieder, der Höhepunkt ihrer Bewegung ist überschritten. Herr Wolfsohn liest das täglich dreimal, des Morgens in der »Morgenpost«, des Mittags in der »BZ«, und am Abend weist das »Acht-Uhr-Abendblatt« unwiderleglich nach, daß unter keinen Umständen die Nationalsozialisten weitere Gewinne erzielen können.
    Herr Wolfsohn ist einverstanden mit sich und der Welt.
    Hat er nicht Grund, ruhig und zufrieden zu sein? Wenn heute abend Moritz vorbeikommt, sein Schwager Moritz Ehrenreich, dann wird er ihm einmal wieder tüchtig heimleuchten. Moritz Ehrenreich, Setzer bei den Vereinigten Großdruckereien, Zionist, Mitglied des Sportvereins Makkabi, sieht die deutschen Dinge schwarz in schwarz. Was wollen eigentlich Leute wie Moritz Ehrenreich? Ein paar Rowdys haben einen Juden aus der Untergrundbahn werfen wollen. Und? Sie sind verhaftet und sehen ihrer Bestrafung entgegen. Herr Markus Wolfsohn persönlich hat keine schlechten Erfahrungen gemacht. Er steht ausgezeichnet mit seinen Kollegen, ist beliebt in Lehmanns Caféstuben, im Sparverein Die Ollen Matjesheringe.
    Ist, was vielleicht noch wichtiger ist, beliebt bei Hausverwalter Krause. Es war ein Glück, daß er in dem Häuserblock an der Friedrich-Karl-Straße in Tempelhof die angenehme Dreizimmerwohnung bekam. Zweiundachtzig Mark, das ist geschenkt, mein Herr, wahr und wahrhaftig. Der Block ist mit städtischer Subvention errichtet, die Wohnungsmiete geringer als die reguläre Verzinsung der Herstellungskosten.Geschenkt, mein Herr. Für zwanzig seiner Angestellten hat das Möbelhaus Oppermann derartig verbilligte Wohnungen beschaffen können; er dankt die seine dem Prokuristen Brieger, im Grunde also seiner kaufmännischen Tüchtigkeit.
    Leider wurden Mietkontrakte nur für eine Zeit bis zu drei Jahren abgeschlossen, und zwanzig Monate sind bereits um. Aber Herr Wolfsohn ist dicke mit Hausverwalter Krause, er versteht, ihn zu nehmen. Herr Krause erzählt gern Witze, sehr alte, und immer die gleichen. Es ist nicht leicht, immer gespannt zuzuhören, nicht zu früh zu lachen, nicht zu spät. Markus Wolfsohn kann es.
    Er leckt sich den Rest der Schlagsahne aus dem Schnurrbart, ruft den Kellner, um zu zahlen. Seine Laune, wie er jetzt das Portemonnaie zieht, hebt sich noch mehr. Es sind nicht nur

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